Die diesjährigen Programmschwerpunkte:
Adonis – Die Poesie des Bildes
Blick ins Tal
Übersetzungs­kolloquium mit Yael Inokai

Adonis Die Poesie des Bildes

Adonis – Die Poesie des Bildes

Seit Ende der 1980er-Jahre begleitet das literarische Werk des Schrift­stellers und Dichters Adonis auch ein reiches, bild­künstlerisches Œuvre – bestehend aus Zeichnungen, Collagen und Über­malungen. Mit diesen Zusammen­führungen von Bild und geschriebenem Wort interpretiert und überträgt der Schrift­steller dabei nicht nur seine eigenen Zeilen in eine bild­künstlerische Formen­sprache, sondern auch jene besonders geschätzter Dichter – von der Antike bis in die jüngste Zeit. Gleich­sam als wolle er den Charakter, die Natur von Gedicht und Text betonen und inter­pretieren. Ein Anliegen, das ihn auch als Dichter und Autor antreibt. So notiert Stefan Weidner, Über­setzer seiner Schriften, im Nachwort zu einem Gedicht­band, dass es ihm stets ein Anliegen sei «mittels der Sprache auf neue Wahrnehmungs­ebenen»1 vorzustossen.

Dieses Schrift-Bild ist dabei neben den Gedichten und Essays als eigen­ständiges künstle­risches Werk zu betrachten. Wobei die enge Verwebung von Wort und Bild auch in der Materiali­tät erhalten bleibt: Adonis arbeitet zumeist auf Papier. Häufig mit Tusche oder Tinte. Er collagiert, bringt Textilien und Fund­stücke aus seinem All­tag auf den Bildträger.

Titel für die Werke finden sich indes nicht, oder nur selten. Denn im Grunde haben die Texte im Moment ihres ursprünglichen Entstehens schon Titel gehabt, die nun eine neue, bild­künstlerische Zu­wendung erfahren haben.

Die für diese Ausstellung ausgewählten Werke sind im wesentlichen Arbeiten zu Gedichten aus seiner wohl bedeutendsten Publikation Die Gesänge Mihyârs des Damazeners von 1961. Adonis gleicht darin, wie sein Über­setzer Stefan Weidner in einer Würdigung des Autors anlässlich von dessen 90. Geburtstag festhielt, Nietzsche: Mihyâr ist ein muslimischer Zarathustra, der auch den Tod Gottes verkündet: «Heute habe ich das Trug­bild des Samstags / Das Trug­bild des Freitags verbrannt … / Und ersetzte … den Gott der sieben Tage / Durch einen toten Gott.» Einmal mehr hat Adonis hier sein deutliches Plädoyer für eine säkularisierte Welt formuliert. Bildlich geworden sind diese Zeilen durch zarte Tuschen ebenso wie durch pastos aufgetragene Farb­schichten in Dunkel­braun und Schwarz, durch welche die Schrift wie Licht­kegel aus hellem Gelb, Orange oder Rot zu dringen scheint.

Neben Adonis’ eigenen Dichtungen findet sich aber auch eine Hommage an andere grosse Vertreter seines Faches. Und schliess­lich auch der Verweis auf histo­rische, antike Orte und Dichtung. Auf zehn grossen Bannern finden wir «Mu’allaqat» (dt.: «Die hängenden Gedichte»), jene Verse, die der Erzählung nach im Inneren der Kaaba in Mekka hängen und damit Zeugnis geben von der reichen dichte­rischen Tradi­tion, die auch heute noch wenig Anerkennung findet im west­europäischen Literatur­kanon.

Mit seinen Bild-Kompositionen ist Adonis damit sowohl Künstler als auch Advokat – Für­sprecher und Werbender für eine hierzu­lande noch weiter zu entdeckende Schrift­tradition.


Dorothea Schöne, Kuratorin der Ausstellung


1 Stefan Weidner, Nachwort, in: Adonis. Verwandlungen eines Liebenden. Gedichte 1958–1971, Frankfurt am Main 2014, S. 331–348, hier S. 338.

Gespräch mit Adonis, der Kuratorin Dorothea Schöne und Stefan Weidner
Ort und Zeit siehe Detailprogramm

Ausstellung: 20.–26.6.2023
in der Galerie St. Laurent
und im Alten Bahnhof, Leukerbad

Öffnungszeiten:
Während des Festivals: 10–18 Uhr
Vor und nach dem Festival: 13–17 Uhr

Die Bilder sind eine Auswahl aus der in Leukerbad gezeigten Ausstellung. Ein Ver­zeichnis aller präsentierten Werke liegt in den Ausstellungs­räumen auf.

Blick ins Tal

Raus aus den Bergen und rein ins Tal. Wir blicken über den Teller­rand von Leuker­bad hinaus und öffnen einen Raum für Autor:innen aus dem ganzen Kanton Wallis. In diesem Pilot­projekt arbeiten das MEEL, das neue Walliser Literatur­haus und das Literatur­festival Leukerbad erstmals zusammen, um die Walliser Literatur­szene vorzustellen.

Beim «Blick ins Tal» widmen wir uns der Frage, mit welchen Chancen und Heraus­forderungen sich Autor:innen im Wallis in ihrer Arbeit konfrontiert sehen. Zwei­sprachigkeit, geo­grafische Eigen­heiten, die Nähe zum französischen und deutschen Markt – was beschäftigt die lokalen Autor:innen wirklich?

Zum Aus­tausch treffen sich die vier Autor:innen Rolf Hermann, Jérôme Meizoz, Abigail Seran und Céline Zufferey an einer table ronde. Um das Wallis adäquat zu repräsentieren, wird dieser Aus­tausch zweisprachig auf Deutsch und Französisch stattfinden und zeigen, dass das Wallis nicht nur Wein und Aprikosen zu bieten hat, sondern auch eine lebendige, diverse Literatur­szene, die mit dem «Blick ins Tal» dieses Jahr zum ersten Mal eine breite Vertretung am Literatur­festival Leuker­bad findet.

Das MEEL, das Haus der Schrift­stellerinnen, Schrift­steller und Literaturen (Maison des écrivaines, des écrivains et des littératures, MEEL) ist ein Ort des Empfangs, des Aus­tauschs und der Ausbildung für Autor:innen, unabhängig von ihrem Werde­gang und ihrem Niveau, ob sie am Anfang ihres Schreib­prozesses stehen, oder bereits erfahrene Autor:innen sind.

Das MEEL, gegründet 2022, befindet sich im Schloss Monthey, nur wenige Schritte vom Haupt­platz entfernt. Es versteht sich als welt­offener Raum für Schrift­steller:innen in erster Linie aus dem Wallis, aber auch aus der Romandie und sogar über die Landes- und Sprach­grenzen hinaus. Das MEEL bietet Unter­stützung, Förderung und Entwicklungs­möglichkeiten. Aus diesem Grund arbeitet das MEEL mit zahl­reichen regionalen Walliser, Waadtländer, West­schweizer und französischen Insti­tutionen zusammen, die in den Bereichen Literatur, Theater, Film und Vereins­wesen tätig sind, unabhängig davon, ob es sich um Kultur­institutionen handelt oder nicht.

Weiterbildung, Kurse, Vernissagen, Konfe­renzen, ein warmer und angenehmer Arbeits­ort – das MEEL bietet Schrift­steller:innen ein Dach, damit sie schaffen, aufblühen und erblühen können, mit dem Ziel, alle Literaturen zum Strahlen zu bringen.

Samstag, 24. Juni 2023
Ort und Zeit siehe Detailprogramm
www.meel.ch

Übersetzungs­kolloquium mit Yael Inokai

Übersetzungskolloquium mit Yael Inokai

Übersetzer:innen sind nicht nur besonders gewissen­hafte Leser:innen, sondern auch wichtige Vermittler:innen zwischen Sprachen und Kulturen. In Ko­operation mit dem Litera­rischen Colloquium Berlin (LCB) und unter­stützt durch die Schweizer Kultur­stiftung Pro Helvetia, das Centre de traduction littéraire Lausanne (CTL) und Palais Valais sind auch in diesem Jahr Übersetzer:innen deutsch­sprachiger Literatur nach Leukerbad eingeladen, die sich mit Literatur aus der Schweiz beschäftigen.

Im Mittelpunkt des zweitägigen Workshops steht immer ein aktuelles Werk eines Schweizer Autors, einer Schweizer Autorin – in diesem Jahr der Roman Ein simpler Eingriff von Yael Inokai, der 2022 im Hanser Verlag erschienen ist. Die in Berlin lebende Autorin wurde u. a. mit einem der Schweizer Literatur­preise und dem Anna Seghers-Preis ausgezeichnet. Sechs Über­setzerinnen werden eingeladen, mit der Autorin an der Lösung von Ent­schlüsselungs­problemen und den stilistischen Heraus­forderungen ihres Romans zu feilen: Laura Bortot (Italienisch), Edina Čović (Bosnisch), Zsuzsa Fodor (Ungarisch), Marion Hardoar (Nieder­ländisch), Camille Logoz (Französisch) und Marielle Sutherland (Englisch). Geleitet wird das Seminar von Jürgen Jakob Becker (LCB). Reka Gaal vom CTL Lausanne wird das Colloquium als Protokollan­tin begleiten.

Die Teilnehmerinnen berichten im Rahmen des Literatur­festivals Leuker­bad von den Ergebnissen der Wer­kstatt und ihrer Arbeit als Grenz­gänger:innen zwischen den Kulturen.

Zu den Gast­autor:innen des Übersetzungs­kolloquiums gehörten bisher Peter Weber, Michel Mettler, Lukas Bärfuss, Katharina Faber, Rolf Lappert, Melinda Nadj Abonji, Christoph Simon, Arno Camenisch, Jonas Lüscher, Peter Stamm, Monique Schwitter, Urs Mannhart, Nora Gomringer, Gianna Molinari und Ariane Koch.

Einblick ins Übersetzungs­kolloquium
Samstag, 24. Juni 2023, 10 Uhr