Längst geht es am Literaturfestival Leukerbad nicht mehr nur um die Vorstellung von Büchern. In den exklusiv zusammengesetzten Gesprächen der «Perspektiven»-Reihe werden jedes Jahr aktuelle Themen aus Gesellschaft, Politik und Literatur aufgegriffen und fortgeführt. In diesem Jahr:
I: Carte Blanche für Joshua Cohen und Christian Kracht
II: «Verständigt und verstanden»
III: Gegenwartsliteratur: Kitsch mit Kulturanstrich?
IV: Auf der Suche nach einem besseren «Woke»
V: Was macht Amerika aus?
Das Perspektiven-Gespräch zwischen Joshua Cohen und Christian Kracht muss leider ausfallen. Christian Kracht liest am Freitagabend und wird am Samstag ein Gespräch mit Raphael Urweider führen.
Der in Dresden aufgewachsene Volker Braun galt schon vor der Wiedervereinigung Deutschlands als gesamtdeutscher Schriftsteller. Für den Basler Christoph Geiser wiederum waren die Grenzen der Schweiz schon früh ebenso zu klein und unpassend wie gesellschaftliche und literarische Konventionen, die er konsequent sprengte. Seit Geiser Braun 1983 in der DDR besuchte, verbindet die beiden ein tiefes gegenseitiges Verständnis.
Moderiert von Verleger Christian Ruzicska, der Geisers oftmals vergriffene Werke neu zugänglich gemacht hat, treffen sich die beiden Granden in Leukerbad zum offenen Gespräch.
Darüber, was herausragende Literatur ausmacht, herrschte noch nie Einigkeit. Klassisch galt aber doch, dass es mehr braucht als eine «gute Geschichte», nämlich, dass der Erzählstoff auch in der Form kunstvoll gestaltet wird, die Leser:innen herausfordert.
Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler sieht heute selbst diesen Grundkonsens in Frage gestellt: Erfolgreiche Erzählliteratur – am Markt, aber auch bei Kritik und Preisjurys – sei heute fast durchwegs «realistisch» erzählt. Anstelle sprachlicher oder kompositorischer Experimente, die das Textverständnis zur Arbeit machen könnten, sollen gewichtige Themen Bedeutsamkeit suggerieren. Oberstes Ziel: «Liegestuhltauglichkeit».
Von Literatur werde «keine ästhetische Ambiguität mehr erwartet, sondern ethisch-didaktische Einsichten, am besten solche, die die Überzeugungen treffen, die man ohnehin schon hat», formulierte es Baßler in seinem kontroversen Essay
Wie liest und rezipiert ein Lesepublikum, das sprachlich «schwierige» Texte kaum noch kennt? Mit welchen Folgen? Gibt es Gegenbeispiele, Gegentendenzen? Und worin sieht Baßler die «eigenen Chancen», die er dieser Entwicklung bei aller Kritik attestiert? Diesen Fragen gehen Moritz Baßler, Lukas Bärfuss und Stefan Zweifel in Leukerbad nach.
Es sei die pure Fassungslosigkeit gewesen, sagt Jens Balzer, die ihn dazu gedrängt habe, seinen Essay
Verstanden als «Wachheit für gesellschaftliche Diskriminierungen mit dem Ziel, bestehende Ungerechtigkeiten zu analysieren und zu korrigieren» kann Jens Balzer dem Wokeness-Konzept bis heute viel abgewinnen. Auf mehr Sichtbarkeit für bisher benachteiligte Diskursteilnehmer zu achten, ist für ihn mit Habermas eine der «notwendigen Voraussetzungen kommunikativen Handelns», die Debatte zwischen Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen erst möglich macht. Sollte es tatsächlich so sein, dass die irritierenden Reaktionen auf den
Seit Balzer seinen Essay geschrieben hat, ist ein Jahr mit bemerkenswerten Verschiebungen in der politischen Landschaft und der öffentlichen Debatte vergangen. Noch vor kurzem bot «woke» insofern eine natürliche Angriffsfläche, weil postkolonialen, antirassistischen oder queerfeministischen Strömungen eine gewisse Diskurshoheit nicht abzusprechen war. Nach einem Superwahljahr 2024, das Rechtspopulisten quer durch Europa markante Zugewinne beschert und einen radikalisierten Donald Trump zurück ins Weisse Haus gebracht hat, beantwortet sich die Frage, ob Rechte und Antidemokraten den Kulturkampf vorläufig für sich entscheiden haben, fast von selbst.
Müssen wir also feststellen, dass wir tatsächlich in einer Zeit «after woke» angekommen sind? Und wie kann es gelingen, die zutiefst demokratische Essenz dessen, was mit Wokeness einst gemeint war, zu erneuern und zu rehabilitieren?
Karl Schlögel ist als herausragender Osteuropaspezialist vielfach ausgezeichnet. In seinem neuesten Buch wendet der Historiker seinen Blick nach Westen: in die USA, die er – zum ersten Mal 1970 – fast genauso ausführlich bereist hat.
Schlögel erweitert den Blick auf die amerikanische Erfolgsstory, indem er – wie vielleicht nur er es kann – deren enge Verflechtung mit der Geschichte der UdSSR herausschält. Er macht aber auch die Risse der US-Gesellschaft besser verständlich, die bis heute nachwirken. Die Jury des Gerda Henkel Preises, den er 2024 erhielt, formulierte es so: «Karl Schlögel zeigt auf eindrückliche Weise, dass historische Urteilskraft und stetige kritische Selbstreflexion unerlässlich sind, wenn wir die Konflikte der Gegenwart angemessen verstehen wollen».
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30. Internationales Literaturfestival Leukerbad: