Autorinnen und Autoren
Am 26. Internationalen Literaturfestival
Leukerbad nehmen teil:
Lukas Bärfuss Schweiz
Emmanuelle Bayamack-Tam Frankreich
Jay Bernard Grossbritannien
Lydia Dimitrow Deutschland
Sasha Filipenko Belarus
Rolf Hermann Schweiz
Alois Hotschnig Österreich
Hiromi Ito Japan
Pascal Janovjak Schweiz
Ariane Koch Schweiz
Christian Kracht Schweiz
Michael Krüger Deutschland
Marianne Künzle Schweiz
Hervé Le Tellier Frankreich
Pedro Lenz Schweiz
Juliane Liebert Deutschland
Jonas Lüscher Schweiz
Tanja Maljartschuk Ukraine/Österreich
Urs Mannhart Schweiz
Beatrice von Matt Schweiz
Cristina Morales Spanien
Marie NDiaye Frankreich
Katharina Pistor USA
Teresa Präauer Österreich
Gabriele Riedle Deutschland
Karl Rühmann Schweiz
Karl Schlögel Deutschland
Elke Schmitter Deutschland
Samuel Schnydrig Schweiz
Adania Shibli Palästina
Peter Stamm Schweiz
Aleš Šteger Slowenien
Alexander Sury Schweiz
Levin Westermann Schweiz
Kathy Zarnegin Schweiz
Athena Farrokhzad musste ihre Teilnahme
am Literaturfestival Leukerbad leider absagen.
Lukas Bärfuss
Lukas Bärfuss, geboren 1971, wuchs in Thun auf und lebt heute in Zürich. Kaum ein anderer Schweizer Autor hat über die Landesgrenzen hinaus mehr öffentliches Echo ausgelöst als er. Er hat sich einen Namen als kritischer Denker, brillanter Redner und engagierter und unbestechlicher Kommentator der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gemacht. Zum ersten Mal seit 25 Jahren erhielt 2019 ein Schweizer den Georg-Büchner-Preis, den renommiertesten Literaturpreis im deutschen Sprachraum; die Jury würdigte Bärfuss in ihrer Begründung als «herausragenden Erzähler und Dramatiker».
Zu seinem Schaffen zählen über 20 Theaterstücke. Mit seinem Erzählband Malinois (2019) macht Lukas Bärfuss klar, dass er ein erstklassiger Erzähler ist. In sowohl sinnlicher als auch analytischer Sprache erzählt er von Menschen, die aus den Routinen des Alltags herausgerissen werden und spürt dabei den Fragen nach, wie wir uns begegnen und nach welchen Vorlagen wir die Geschichten unserer Leidenschaften entwerfen. Die Krone der Schöpfung heisst sein letzter Essayband, in dem er sich verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themen widmet. Für seine politischen Texte wird Bärfuss in der Schweiz immer wieder kritisiert. Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur sagt er: «Die Schweiz ist ein kleines Land mit der Devise, sich lieber einigen als streiten zu wollen. [...] Ich glaube trotzdem, dass es in einer freiheitlichen Demokratie, in einer offenen Gesellschaft die Kritik braucht und auch die Auseinandersetzung über verschiedene Positionen.»
Gesprächsreihe «Perspektiven»
Spycher: Literaturpreis Leuk
Die Krone der Schöpfung. Essays. Wallstein 2020
Malinois. Erzählungen. Wallstein 2019
Krieg und Liebe. Essays. Wallstein 2018
Emmanuelle Bayamack-Tam
Die Schriftstellerin und Dramatikerin Emmanuelle Bayamack-Tam wurde 1966 in Marseille geboren und lebt heute in Paris. Sie ist Verfasserin von bisher dreizehn Romanen und Erzählungen – fünf davon auf Deutsch erschienen – und unterrichtet an einem Gymnasium in einer östlichen Vorstadt von Paris. Bayamack-Tam ist Mitbegründerin der Zeitschrift Autres & Pareils für zeitgenössische Kunst und Literatur und Leiterin der éditions Contre-Pied.
Wie in früheren Werken geht Emmanuelle Bayamack-Tam in ihrem gerade auf Deutsch erschienenen Buch Sommerjungs der Frage nach, was passiert, wenn das gesellschaftlich anerkannte Bild Risse bekommt: Thadée und Zachée sind schön wie junge Götter, brillante Studenten, zwei Brüder aus gutem Hause und strahlend kraftvolle Surfer. Sie glauben, der Sommer ihres Lebens ende nie – dieser leuchtende Sommer zwischen mächtigen Wellen, aufschäumender Gischt und dem pudrigen Licht des Meeres. Thadée jedoch findet sich jäh seiner so begnadeten Existenz beraubt, als er von einem Hai verstümmelt wird. Eifersucht und bissiger Neid treiben ihre Wurzeln in ihm. Der plötzliche Tod von Zachée gibt der Familie den Gnadenstoss, die nun, von Thadées Schicksal bereits erschüttert, langsam, aber sicher in den Sog des Wahnsinns driftet.
Der von Körperlichkeit, Eros und Freiheit getragenen Atmosphäre des Surfens tröpfelt Emmanuelle Bayamack-Tam das Gift der Spannung eines perfekt komponierten Thrillers ein. Mit lustvoller Intensität zerstört sie dabei die Lügen, die sozialen Konventionen, das Gehabe – die sie allesamt mit fröhlicher Grausamkeit buchstäblich zerlegt.
Sommerjungs. Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Secession 2022
Arkadien. Roman. Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Secession 2020
Ich komme. Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Secession 2017
Jay Bernard
Jay Bernard wurde 1988 in Westminster im Zentrum von London geboren und wuchs in Croydon, einem Vorort von London, auf. Jays Schaffen umfasst verschiedene Kunstrichtungen; Literatur, Illustration, Theater. Jays Filme und audiovisuelle Installationen waren in Kunsträumen in ganz Grossbritannien zu sehen, vom Glasgower Centre for Contemporary Arts über die Tate Britain bis hin zu The Serpentine in London.
2020 wurde Jay Bernards Lyrikdebüt Surge mit dem Young Writer of the Year Award durch die Sunday Times/University of Warwick ausgezeichnet. Ausgangspunkt von Surge ist das «New Cross Massacre»: 1981 brach auf einer Geburtstagsparty im Südosten Londons ein Feuer aus, bei dem 13 schwarze Teenager ums Leben kamen. Niemand wurde im Zusammenhang mit den Todesfällen angeklagt, die nach Ansicht vieler durch einen rassistischen Brandanschlag verursacht wurden. Als Reaktion auf die Untätigkeit der Behörden protestierten 20 000 Menschen in London gegen Rassismus. Jay Bernard arbeitete den Fall in den Archiven akribisch auf. In Surge dokumentiert Jay die Ereignisse vielstimmig und feinfühlig, zugleich mit grosser Leidenschaft und Wut.
Jay Bernards Schaffen überschreitet Genres, Themen und Zeiten – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber es ist die Politik, die sich durch das Werk zieht, und dabei Themen wie rassifizierte Ungerechtigkeit und schwarze queere Politik ebenso behandelt wie Familienbeziehungen, staatliche Überwachung und alles, was sich dazwischen befindet.
Anmerkung: Jay Bernard identifiziert sich als non-binär und verwendet im Englischen die Pronomen «they/them». Im Deutschen hat sich noch kein entsprechendes Pronomen etabliert, darum wählen wir die Lösung, auf Pronomen zu verzichten.
In Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD
Surge. Poems. Chatto & Windus 2019. Noch keine deutsche Ausgabe erhältlich.
Lydia Dimitrow
Lydia Dimitrow übersetzt Romane, Theatertexte und Gedichte aus dem Französischen und Englischen, unter anderem übertrug sie Werke von Isabelle Flükiger, Valérie Poirier, Joseph Incardona und Pascal Janovjak. Sie wurde 1989 in Berlin geboren, wo sie auch heute lebt. Dimitrow studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Französische Philologie und Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin und an der Université de Lausanne.
Lydia Dimitrow ist auch Autorin; in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlichte sie Theatertexte und Prosa. Ausserdem moderiert sie Veranstaltungen und ist Gründungsmitglied der deutsch-französischen Theaterkompanie mikro-kit.
Für die Übersetzung von Pascal Janovjaks Roman Le Zoo de Rome erhielt sie 2020 ein Arbeitsstipendium des Deutschen Übersetzerfonds.
Lydia Dimitrow wird in Leukerbad die Übersetzung von Der Zoo in Rom zusammen mit Pascal Janovjak vorstellen.
In Zusammenarbeit mit dem CTL
Sasha Filipenko
Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und als Fernsehmoderator. Er ist leidenschaftlicher Fussballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er hat Russland verlassen und hält sich derzeit an wechselnden Wohnorten in Westeuropa auf.
Die Jagd ist der dritte seiner fünf Romane, der auf Deutsch erscheint: Ein Journalist, der zu viel weiss. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem Oligarchen anlegt, worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen.
Im Interview mit der Berliner Zeitung macht Filipenko klar, welche Folgen seine regimekritischen Bücher für ihn haben: «Davor [nach Belarus zurückzukehren] warnen mich meine Familie und meine Freunde, die in den Zeitungen lasen, ich sei ein Volksfeind. Soll ich wieder nach Petersburg? Russland hat angefangen, die Belarussen auszuweisen. Ich rede mir ein, dass ich so wie ein Fussballspieler jetzt einfach als Schriftsteller bei einem anderen europäischen Klub unter Vertrag bin.»
2021 berichtete Sasha Filipenko am Literaturfestival Leukerbad bereits über die gefährlichen Entwicklungen in Russland und wird in diesem Jahr daran anknüpfen.
Die Jagd. Roman. Diogenes 2022
Der ehemalige Sohn. Roman. Diogenes 2021
Rote Kreuze. Roman. Diogenes 2020
Alle: Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer.
Rolf Hermann
Der Walliser Rolf Hermann lebt als freier Schriftsteller in Biel. Er schreibt Spoken Word, Prosa, Gedichte, Hör-spiele und Theaterstücke, oft in Mundart. Seine Texte wurden auszugsweise ins Arabische, Englische, Französische, Litauische, Polnische, Spanische und Ungarische übersetzt. Neben zahlreichen Einzellesungen (mit und ohne Musik) tritt er mit weiteren Projekten wie der Combo Trio Chäslädeli auf. Für die Sendung Früh-Stücke auf Radio SRF 2 verfasst er regelmässig Kurztexte und spricht diese ein.
Im Oktober 2021 erschien Rolf Hermanns neuer Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir. Ausgehend von vier Zyklen, die Rainer Maria Rilke am Ende seines Lebens im Château de Muzot im Wallis auf Französisch geschrieben hat, leuchtet Rolf Hermann mit seinen neuen Gedichten mitten hinein in unsere Lebenswelt. Lustvoll und zärtlich, formbewusst und unverwechselbar im Ton: Er durchstreift gleich mehrere Landschaften synchron, jene seiner Erinnerungen, seiner Kindheit und Jugend, jene seiner Heimat, dem tiefen Tal, den steilen Hängen und jene seines schreibenden Bildervaters Rilke, der noch immer atmosphärisch im Rhonetal wirkt. Die Zufallsbegegnung mit einem Tier weckt die Hoffnung auf eine Verschmelzung von Mensch und Natur, ein Bildschirm, der glimmt, ein Fenster, das aufpoppt – und die Zeilen werden zu einem Eintrittsort, zu einer Schnittstelle zwischen Virtualität und unmittelbarer Erfahrung. Ein Gang durch einen längst verschwundenen Obstgarten, in dem selbst die Luftpartikel träge geworden sind ob ihres uralten Gewichts.
Hommage an Pierre Imhasly
In der Nahaufnahme verwildern wir. Gedichte. Der gesunde Menschenversand 2021
Eine Kuh namens Manhattan. edition spoken script 33. Der gesunde Menschenversand 2019
Flüchtiges Zuhause. Erzählungen. Rotpunktverlag 2018
Alois Hotschnig
Alois Hotschnig wurde 1959 in Berg im Drautal in Kärnten geboren. Er begann Medizin zu studieren, wechselte jedoch zu den Fächern Germanistik und Anglistik an der Universität Innsbruck. Heute lebt er als freier Autor in Innsbruck. Er ist Verfasser von erzählender Prosa, Gedichten, Theaterstücken und Hörspielen. Beinahe dreizehn Jahre ist es her, dass Hotschnig sein letztes Buch veröffentlicht hat. Nun legt er mit Der Silberfuchs meiner Mutter einen neuen Roman vor. Anders als in vielen seiner Werke ist der Schauplatz dieses Buches keine scheinbare Idylle: Angelehnt an die Biografie des Schauspielers Heinz Fitz erzählt Hotschnig aus der Perspektive eines Jungen dessen Lebensgeschichte – als überall unerwünschtes Kind einer Mutter, die im Zweiten Weltkrieg zwischen die unversöhnlichen Fronten verschiedener Ideologien gerät. In einer kompromisslosen Selbstbefragung versucht der Sohn die Rätsel seiner Herkunft zu lösen, die Wahrheit über seine Eltern freizulegen.
Alois Hotschnigs Ton ist schlicht, genau und erbarmungslos. Der Roman ist eine Erzählung über die Notwendigkeit des Erzählens und darüber, dass es keine einfachen Geschichten gibt. Das Warten auf Alois Hotschnigs neues Buch, seinen ersten Roman seit Ludwigs Zimmer (2000), hat sich gelohnt. Der Silberfuchs meiner Mutter ist grosse Erzählkunst: Roman also, nicht Biografie; Erzählung, nicht Nacherzählung. Und Erzählen heisst bei Hotschnig immer bedingungsloses Erzählen.
Der Silberfuchs meiner Mutter. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2021
Im Sitzen läuft es sich besser davon. Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch 2009
Ludwigs Zimmer. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2000
Hiromi Ito
Hiromi Ito wurde 1955 in Tokyo geboren und zählt zu den wichtigsten japanischen Autorinnen der Gegenwart. Ihr Werk umfasst Lyrik, Prosa sowie Essays und wurde mit einigen der bedeutendsten Preise für japanische Literatur ausgezeichnet. In den 1980er Jahren hatte Ito sich zunächst als innovative Lyrikerin mit neuartigen Themen und Sprechweisen einen Namen gemacht. Sie ist zudem Illustratorin und Manga-Kritikerin und lehrt Literarisches Schreiben an der Waseda-Universität in Tokyo.
Mit dem autofiktionalen Roman Dornauszieher, bereits 2007 in Japan erschienen, liegt nun erstmals ein Werk der Autorin in deutscher Übersetzung vor. Der Romantitel nimmt Bezug auf den buddhistischen Schutzgott Jizo, der als Dornauszieher das körperliche und seelische Leid von den Gläubigen nimmt. Die Protagonistin, zerrissen zwischen einem Alltag in den USA und in Japan, zwischen dem kränkelnden Ehemann, den Töchtern mit Pubertätssorgen und den gebrechlichen Eltern, wendet sich Schutz suchend an den Bodhisattva. Dabei verwebt das Romanpoem kunstvoll Alltagserzählungen mit Mythen, buddhistischen Sutren, Zitaten aus der europäischen Literatur und aus japanischen Klassikern. Die Litprom-Jury wählte Dornauszieher auf Platz 1 der Weltempfänger-Bestenliste: «ein kluges und zugleich schonungsloses Genre-Crossover, in dem erlebter Buddhismus ebenso Platz hat wie ein vielstimmiger Chor japanischer Literatur.»
Dornauszieher. Roman. Aus dem Japanischen von Irmela Hijiya-Kirschnereit. Matthes & Seitz 2021
Pascal Janovjak
Pascal Janovjak wurde 1975 in Basel geboren, als Sohn einer französischen Mutter und eines slowakischen Vaters. Er studierte Komparatistik und Kunstgeschichte in Strassburg und lehrte Französisch an der Universität Tripoli (Libanon). Ab 2002 leitete er das Büro der Alliance Française in Dhaka (Bangladesch) und unterrichtete anschliessend Literatur in Ramallah (Palästina). Heute lebt er in Rom.
Pascal Janovjak veröffentlicht Kurzprosa und Romane, mit Der Zoo in Rom liegt nun erstmals ein Werk des Autors in deutscher Übersetzung vor. Ausgehend von dem titelgebenden Zoo unternimmt der Roman eine Zeitreise durch das 20. Jahrhundert: Als der vom berühmtesten deutschen Tierhändler Carl Hagenbeck entworfene Zoo 1911 eröffnet wurde, bildete er über viele Jahre einen Anziehungspunkt für Figuren wie Mussolini, den Schah von Persien, Salman Rushdie oder schillernde Filmschauspielerinnen. Kurz vor seinem hundertsten Geburtstag hat der Zoo viel von seinem einstigen Glanz verloren. Die neue Kommunikationschefin soll für den Park eine PR-Strategie entwerfen, als sie einem algerischen Architekten begegnet, der auf geheimnisvoller Mission in Rom ist. Der Zoo in Rom wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Schweizer Literaturpreis.
Pascal Janovjak wird in Leukerbad seinen Roman Der Zoo in Rom zusammen mit der Übersetzerin Lydia Dimitrow vorstellen.
In Zusammenarbeit mit dem CTL
Der Zoo in Rom. Roman. Aus dem Französischen von Lydia Dimitrow. Lenos 2021
À toi. Récits croisés en collaboration avec Kim Thùy. Liana Levi 2011
L’Invisible. Roman. Buchet-Chastel 2009
Coléoptères. Poèmes en prose. Editions Samizdat 2007
Ariane Koch
Ariane Koch wurde 1988 in Basel geboren und studierte unter anderem Bildende Kunst und Interdisziplinarität in Basel und Bern. Sie schreibt – auch in Kollaboration – Theater- und Performancetexte, Hörspiele und Prosa und wurde vielfach ausgezeichnet. Für ihren Debütroman Die Aufdrängung erhielt sie den Schweizer Literaturpreis (2022) und mit dem aspekte-Literaturpreis (2021) den wichtigsten deutschsprachigen Debütpreis.
Im Zentrum ihres Romandebüts steht eine junge Frau, die ihr Dasein in einem zu grossen Haus in einer zu kleinen Stadt neben einem dreieckigen Berg fristet. Als dort ein Gast auftaucht, nimmt sie ihn kurzerhand bei sich auf. Die Gastfreundschaft als prominentes Thema der Philosophie und Literatur entspinnt sich im Fortgang der Geschichte in ihrer ganzen Ambivalenz: Der Gast ist ihr so vielversprechend neu wie fremd und wird schnell zum einnehmenden Mittelpunkt, aber auch Opfer inquisitorischer Machtfantasien. Bis er den Fängen der zunehmend obsessiven Hausherrin schliesslich entkommt und sie selbst, wieder allein, eine lang ersehnte Reise antritt und nun ihrerseits zur Gästin wird. – Ein schillerndes Debüt, das in sprachlicher Variation, in eigenwilligen, fantastisch-traumartig anmutenden Bildern und nicht zuletzt mit abgründiger Komik eine ganz eigene poetische Kraft entwickelt.
Preisträgerin Schweizer Literaturpreis 2022 des BAK
Übersetzungskolloquium
Die Aufdrängung. Roman. Suhrkamp 2021
Christian Kracht
Christian Kracht, geboren 1966, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Er wuchs in der Schweiz, den USA, Kanada und Südfrankreich auf. Nach Stationen in Deutschland, Indien, Thailand, den USA und Nepal lebt er aktuell wieder in der Schweiz. Seine literarischen Anfänge wurden der Popliteratur zugeordnet, wovon er sich stets distanzierte. Krachts Bücher wurden in über 30 Sprachen übersetzt, sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Seine bisher sechs Romane wurden alle fürs Theater adaptiert.
Christian Krachts jüngster Roman Eurotrash knüpft scheinbar an sein Debüt Faserland an; der Ich-Erzähler mit Namen Christian Kracht begibt sich auf einen absurd-komischen Roadtrip mit seiner alkoholabhängigen und psychisch kranken Mutter. Die beiden lassen sich in einem Taxi quer durch die Schweiz fahren. Das Geld spielt dabei gewissermassen eine Nebenrolle, denn Mutter und Sohn beginnen ihre Reise damit, eine Plastiktüte damit zu füllen. Dieser Sack voll Geld reist mit, und noch ein Sack ist immer dabei, der Stomabeutel der Mutter.
Christian Kracht erzählt sarkastisch, er parodiert gekonnt und behält stets Zärtlichkeit für seine Figuren bei. In der Begründung der Jury des Schweizer Literaturpreises heisst es: «Christian Krachts Roman Eurotrash ist ein literarischer Essay über die schwimmende Grenze zwischen Leben und Literatur. Auf höchst unterhaltsame Weise führt er die Stränge des eigenen Werkes zusammen und gewährt einen Einblick in die Entstehung von Literatur.»
Preisträger Schweizer Literaturpreis 2022 des BAK
Eurotrash. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2021
Die Toten. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2016
Imperium. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2012
Michael Krüger
Michael Krüger, geboren 1943, lebt in München. Er ist eine der imposantesten, prägendsten Verlegerfiguren, die taz nannte ihn sogar den «letzten auratischen Verleger Deutschlands». Literatur ist für ihn ein Lebenselixier.
Michael Krüger war Verlagsleiter der Carl Hanser Literaturverlage, Herausgeber der Akzente sowie der Edition Akzente und Mitglied verschiedener Akademien und Gremien im deutschsprachigen Raum. Daneben glänzt er als feinsinniger Schriftsteller; er ist Autor mehrerer Gedichtbände, Geschichten, Novellen, Romane und Übersetzungen. Für sein schriftstellerisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.
In seinem neuen Buch Was in den zwei Wochen nach der Rückkehr aus Paris geschah scheinen alle den Protagonisten zu kennen, aber keiner weiss seinen Namen. Und wer ihn noch nicht kennt, will unbedingt seine Bekanntschaft machen. Nur der Erzähler, dem sich der Herr mit den schlechten Manieren angeschlossen hat, will ihn loswerden. Im Flughafen von Paris hat er sich ihm aufgedrängt, in München logiert er bereits in seiner Wohnung, in der Künstleragentur, die der Erzähler betreibt, sitzt er an seinem Schreibtisch und bereitet einen Film vor. Wer ist dieser fremde Gast, der plötzlich wie in einer Erzählung von Gogol im Zimmer steht und durch seine blosse Präsenz alles durcheinanderbringt?
Könnte es sein, dass so manche insgeheim warten auf die Ankunft einer Figur, die sie aus dem Tritt bringt? Michael Krügers abenteuerliche Chronik der laufenden Ereignisse zeigt, dass die Sicherheit, mit der wir unser durchrationalisiertes Leben führen, auch eine Fiktion sein kann.
Was in den zwei Wochen nach der Rückkehr aus Paris geschah. Eine Erzählung. Suhrkamp 2022
Im Wald, im Holzhaus. Gedichte. Suhrkamp 2021
Marianne Künzle
Marianne Künzle, 1973 geboren, absolvierte eine Ausbildung als Buchhändlerin, arbeitete selbständig und angestellt im Buchhandel, später in der Kampagnenorganisation für Greenpeace. Weiterbildungen im Landbau und eine Ausbildung im Literarischen Schreiben folgten. Heute lebt sie im Wallis.
Da hinauf, ihr zweiter Roman, ist die dramatische Geschichte zweier Frauen, deren Wege sich kreuzen, die sich aber nie kennenlernen. Auf einer Bergtour entdeckt Annina, eine junge Journalistin, eine Leiche, die der Gletscher freigegeben hat. Der Kleidung nach muss die Tote Jahrzehnte im Eis eingeschlossen gewesen sein. Die tote Frau ist Irma, die in den 1950er Jahren hier gewandert ist. Irma und Annina begehen zeitlich verschoben denselben Weg. Ihre Wahrnehmung ist aber eine gänzlich andere, ihr Zugang zu sich selbst und der Landschaft unterschiedlich. Annina sucht ihren Platz in der Gesellschaft und sich selbst, Irma handelt intuitiv, sie lebt und verteidigt ihre Ideale.
Die Gestalt des Gletschers hat sich von Irma zu Annina drastisch gewandelt – in den Fünfzigerjahren ist der Gletscher ein weisser Koloss, im Heute hören wir ihn tropfen, bröckeln. Nur einzelne Anhaltspunkte wie die Bergkulisse, eine Weggabelung oder ein markanter Felsblock in der Landschaft, auf die die beiden Frauen treffen, sind unverändert.
Der Walliser Bote schreibt: «Der Innensicht ihrer Figuren stellt die Autorin die unterschiedliche Wahrnehmung der sich wandelnden Umwelt gegenüber, der Natur und insbesondere des schmelzenden Gletschers, der wie ein eisiges Band die Erzählungen der beiden Frauen verknüpft.»
Marianne Künzle wird zusammen mit Urs Mannhart die Literarische Wanderung begleiten.
Hommage an Pierre Imhasly
Da hinauf. Roman. Nagel & Kimche 2022
Uns Menschen in den Weg gestreut. Kräuterpfarrer Johann Künzle 1857–1945. Roman. Zytglogge 2017
Hervé Le Tellier
Hervé Le Tellier wurde 1957 in Paris geboren, wo er auch heute lebt. Er veröffentlichte Romane, Erzählungen, Gedichte und Kolumnen. Der studierte Mathematiker und Linguist ist Mitglied der legendären Autorengruppe «Oulipo» (von L’Ouvroir de Littérature Potentielle), die mit grösster Lust das Formen- und Sprachsystem des fiktionalen Erzählens zu sprengen versucht. Um «potenzielle» Literatur geht es den Oulipoten, um das Ausreizen von Möglichkeiten, um das Sich-nicht-zufrieden-Geben mit vermeintlich gesicherten Realitäten.
Mit Die Anomalie hat Le Tellier ein aufregendes, ein singuläres Buch geschrieben, für das er den Prix Goncourt erhielt. Mittlerweile schickt sich der Roman an, mit einer Millionenauflage zum erfolgreichsten aller mit diesem Preis ausgezeichneten Werke zu werden und damit sogar Marguerite Duras’ Der Liebhaber zu übertreffen. Der Roman ist eine brillante Mischung aus Thriller, Komödie und grosser Literatur: Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 durch einen elektromagnetischen Wirbelsturm. Die Turbulenzen sind heftig, doch die Landung glückt. Allerdings: Im Juni landet dieselbe Boeing mit denselben Passagieren ein zweites Mal. Im Flieger sitzen der Architekt André und seine Geliebte Lucie, der Auftragskiller Blake, der nigerianische Afro-Pop-Sänger Slimboy, der französische Schriftsteller Victor Miesel und eine amerikanische Schauspielerin. Sie alle führen ein Doppelleben. Und nun gibt es sie tatsächlich doppelt – sie sind mit sich selbst konfrontiert, in der Anomalie einer verrückt gewordenen Welt.
Die Anomalie. Roman. Rowohlt 2021
All die glücklichen Familien. Roman. dtv 2018
Kein Wort mehr über Liebe. Roman. Rowohlt Taschenbuch 2021 (Originalausgabe dtv 2011)
Alle: Aus dem Französischen von Jürgen und Romy Ritte.
Pedro Lenz
Pedro Lenz, geboren 1965, lebt als freier Autor und Kolumnist in Olten. Er ist Mitglied des Spoken-Word-Ensembles Bern ist überall und veröffentlichte bereits zahlreiche Bücher und CDs. Sein Bestseller-Roman Der Goalie bin ig wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, als Theaterstück aufgeführt, diente als Vorlage zum gleichnamigen Spielfilm und erschien bisher in zehn Übersetzungen.
In Pedro Lenz’ neuem Buch Primitivo nimmt er uns mit in den Sommer 1982: Primitivo Pérez, Maurer und spanischer Fremdarbeiter, wird auf der Baustelle von einem Schalungselement erschlagen. «Es het en Unfau ggä, e böse», so der Polier Hofer. Dann: «Är hets nid überläbt.»
Charly, Maurerlehrling und Ich-Erzähler, ist zutiefst betroffen. Primi-tivo war nicht nur sein Arbeitskollege, sondern allem voran auch ein enger Freund und eine wichtige Bezugsperson. Auf den rund hundert Seiten zwischen Primitivos Tod und seiner Beerdigung lauschen wir Charlys Erzählungen dieser ungewöhnlichen Freundschaft. Trauerarbeit auf eine unaufgeregte und nachdenkliche Art und Weise.
Pedro Lenz’ selbst über den Roman: «Mich stören die klischierten Vorstellungen vom Büezer als Verlierer, der auf dem Bau oder in der Fabrik landet, weil er sonst nichts kann. Dagegen wollte ich anschreiben und zeigen, dass es, um einen Bau zu errichten, viele talentierte Leute braucht. Am Ende der Kette gibt es dann vielleicht schon einen Hilfsarbeiter oder einen Alkoholiker. Aber den Fokus wollte ich auf jene legen, die mit Berufsstolz über den Tellerrand blicken. Solche Leute habe ich auf dem Bau viele kennengelernt.»
Primitivo. Roman. Cosmos 2020
Der Liebgott isch ke Gränzwächter. 44 Mundartkolumnen. Cosmos 2018
Di schöni Fanny. Roman. Cosmos 2016
(Auf Schriftdeutsch: Die schöne Fanny. Roman. Aus dem Schweizerdeutschen von Raphael Urweider. Kein & Aber 2017)
Juliane Liebert
Juliane Liebert, geboren 1989 in Halle an der Saale, hat an der Universität der Künste Berlin studiert und arbeitet als freie Autorin und Journalistin, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und den Spiegel. Sie schreibt Prosa und Lyrik. Juliane Liebert lebt in Berlin.
Ihr erster Gedichtband lieder an das grosse nichts ist ein fulminantes Debüt. Sie hat einen ganz eigenen Sound und ist stets den menschlichen Unzulänglichkeiten zugewandt. An der Schwelle zum Schlaf, unterwegs durch die Grossstadt, begegnen wir Nikolai Gogol und Marianne Faithfull, Sockendandys und Partymädchen, Versehrten und Abgehängten, «mit dem gesicht nach unten», «am broadway an der haltestelle», «für zehn, fünfzehn minuten wirklich». Sie sind «der spiele so müde, selbst die messer haben das stechen satt». Denn was ist das Herz anderes als «ein muskulöses hohlorgan» – Kraken haben drei davon, wir Menschen: «eine plötzliche angst vor zügen».
Mit untrüglichem Rhythmusgefühl und einem Ohr auf der Tanzfläche horcht Juliane Liebert in ihren flirrenden Gedichten auf «die einsamen, die lauten, die leichten dinge» und schreibt Verse von solcher Zartheit, dass sogar die Battlerapper getröstet werden. Denn selbst wenn die Erde «immer langsamer rotiert» und die Niagarafälle «abends abgestellt» werden – «morgens stellt man sie wieder an».
«Liebert hat einen Sound, eine goldige Metaphorik, ein Buch wie ein Konzert einer Girlband … mit vielen Stimmen. Nicht mal den Tod spart sie aus, sie wird frech in ihrem Stil und bricht auf in ein Neuland. Es ist der Sound der hoffentlich neuen Generation», resümiert Uwe Kraus für das Wochenblatt.
lieder an das grosse nichts. Gedichte. Suhrkamp 2021
Hurensöhne! Über die Schönheit und Notwendigkeit des Schimpfens. starfruit publications 2020
Jonas Lüscher
Jonas Lüscher, geboren 1976, wuchs in Bern auf, wo er eine Ausbildung zum Lehrer absolvierte. Es folgten einige Jahre als Dramaturg in der Münchner Filmwirtschaft, bevor Lüscher an der Hochschule für Philosophie München studierte.
Lüscher zählt zu den wichtigsten Gegenwartsautoren des deutschsprachigen Raumes. Für sein furioses und komisches Debüt Frühling der Barbaren wurde er 2013 für den Deutschen sowie den Schweizer Buchpreis nominiert und mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, Kraft (2017), stiess bei Kritik und Publikum ebenfalls auf grosse Begeisterung und wurde mit dem Schweizer Buchpreis prämiert.
Die Kraft des Erzählens hilft uns nicht nur, ein Leben zu leben, das wir als das unsere verstehen – diese Kraft gilt es auch politisch zu nutzen. In seinem Schreiben vereint Lüscher politisches Engagement mit fiktionalen Elementen. Er lässt seine Leserinnen und Leser nicht bloss in ein Erzählen eintauchen, sondern fordert diese ganz im Sinne der engagierten Literatur zur Reflexion auf. In seinem letzten Buch Der populistische Planet. Berichte aus einer Welt in Aufruhr hat Jonas Lüscher zusammen mit dem Philosophen Michael Zichy eine Gruppe Intellektueller zusammengestellt; die auf unterschiedlichen Kontinenten und in verschiedenen gesellschaftlichen, religiösen und politischen Systemen lebenden Briefschreiberinnen und -schreiber spüren den Gemeinsamkeiten, aber auch den Unterschieden zwischen den vielen Erscheinungsformen des Populismus nach. Aus diesen globalen Briefgesprächen zwischen Budapest, Kairo, Brasilia, Nairobi, Moskau, Salzburg und Zürich ist ein Buch über einen populistisch infizierten Planeten entstanden.
Gesprächsreihe «Perspektiven»
Der populistische Planet. Berichte aus einer Welt in Aufruhr. Herausgegeben von Jonas Lüscher und Michael Zichy. C.H. Beck 2021
Ins Erzählen flüchten. Poetikvorlesung. C.H. Beck 2020
Kraft. Roman. C.H. Beck 2017
Tanja Maljartschuk
Tanja Maljartschuk, geboren 1983, ist in der Ukraine aufgewachsen, wo sie als Journalistin gearbeitet und schon mehrere Bücher publiziert hat. Seit elf Jahren lebt und arbeitet sie in Wien, aber in ihren Romanen und Erzählungen ist die Ukraine allgegenwärtig. Sie schreibt regelmässig Kolumnen für die Deutsche Welle (Ukraine) und für Zeit Online. 2018 hat Tanja Maljartschuk mit ihrem ersten auf Deutsch geschriebenen Text den Bachmann-Preis gewonnen.
Einige Male war sie schon zu Gast in Leukerbad und hat auch einen Beitrag im Wanderbuch Einen schweren Schuh hatte ich gewählt: Sie erzählte uns darin die aussergewöhnliche Geschichte des ukrainischen Dichters und Übersetzers Wassyl Stus, der die grösste Zeit seines Lebens im sowjetischen Gulag verbrachte.
In ihrem Roman Blauwal der Erinnerung schreibt sie über einen vergessenen ukrainischen Volkshelden, dessen Leben mit dem der Ich-Erzählerin verknüpft wird: Auf der Suche nach Zugehörigkeit folgt die Erzählerin diesem stolzen Mann, um durch die Erinnerung der sowjetischen Entwurzelung zu trotzen. Ein literarisch beeindruckender und gleichzeitig hochaktueller Roman, der zeigt, was es heisst, wenn die eigene Identität aus Angst, Gehorsamkeit und Vergessen besteht.
Tanja Maljartschuk ist eine wichtige Stimme, die seit dem Euromaidan und der Annexion der Krim durch Russland 2014 Stellung bezieht, erklärt, vermittelt und mit wachem Blick, viel Empathie aber auch profunden Kenntnissen der ukrainischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in vielen Foren und Diskussionen gehört wird.
Gesprächsreihe «Perspektiven»
Blauwal der Erinnerung. Roman. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck. Kiepenheuer & Witsch 2019
Überflutet. Aus dem Ukrainischen von Harald Fleischmann. Edition Thanhäuser 2016
Biografie eines zufälligen Wunders. Aus dem Ukrainischen von Anna Kauk. Residenz Verlag 2013
Urs Mannhart
Urs Mannhart, geboren 1975, ist vielseitig: Er war schon Velokurier, Nachtwächter in einem Asylzentrum und Abdichter. Seit 2018 ist er diplomierter Bio-Landwirt; derzeit arbeitet er auf einem ökologischen Hof in der Nähe von La Chaux-de-Fonds. Als Reisender und Reporter pflegt Mannhart den literarischen Journalismus. Mit dem Fotografen Beat Schweizer und für die Zeitschrift Reportagen erarbeitet Mannhart seit mehr als zehn Jahren aufwändige Reportagen, meist aus Russland und den Ländern des Balkans.
2004 erschien sein erster Roman, Luchs, der am Beispiel der Wiederansiedelung der Luchse die Konflikte zwischen Tierschutz und Landwirtschaft zeigt. Das Spannungsfeld zwischen einerseits Interessen an verschiedenen Rohstoffen und der Natur der Erde und andererseits den vorhandenen Ressourcen durchzieht das Werk Mannharts.
In seinem jüngsten Roman, Gschwind oder Das mutmasslich zweckfreie Zirpen der Grillen, thematisiert er den internationalen, auch von der Schweiz aus gelenkten Rohstoffhandel, den Raubbau an der Natur und an der Psyche des Menschen. In drastischen, oft schon grotesken Szenen beschreibt Mannhart das Leben eines aufstiegswilligen und konsumorientierten Mannes. Der Roman stellt die Frage, wie lange wir unser Wirtschaftssystem noch überleben, und passt damit leider perfekt in unsere Zeit, in der man oft nur mit Übertreibungen an den gravierenden und lebensbedrohenden Zuständen in unserer Welt etwas ändern kann. Oder wie es in Gschwind heisst «Wer sich mit den Erschütterungen befasst, die sich in den Alpen nach baulichen Eingriffen zeigen, dem fällt immer wieder auf, wie deutlich diese Gebirgszüge einem menschlichen Körper ähneln, der behandelt wird mit Akupunktur.»
Urs Mannhart wird zusammen mit Marianne Künzle die Literarische Wanderung begleiten.
Gschwind oder Das mutmasslich zweckfreie Zirpen der Grillen. Roman. Secession 2021
Bergsteigen im Flachland. Roman. Secession 2014
Cristina Morales
Die spanische Autorin Cristina Morales, 1985 in Granada geboren, zählt zu den talentiertesten Autorinnen ihrer Generation. Sie studierte Rechts- und Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen und hat mehrere Romane und Kurzgeschichten verfasst. Morales ist ausserdem Tänzerin und Choreografin der zeitgenössischen Tanzkompanie Iniciativa Sexual Femenina sowie Mitglied der Punkband At-Asko und des Künstlerkollektivs BachiniBachini. Sie lebt in Barcelona. Für ihr Werk wurde Morales vielfach ausgezeichnet – unter anderem gewann sie 2019 als jüngste Autorin den Premio Nacional de Narrativa des spanischen Kulturministeriums. Ihre Texte üben scharfe Kritik an gesellschaftlichen und politischen Strukturen und unternehmen immer wieder den Versuch, Ausgeschlossenen und von Diskriminierung Betroffenen eine Stimme zu geben.
Mit dem Roman Leichte Sprache ist nun erstmals ein Werk der Autorin in deutscher Übersetzung erschienen. Morales erzählt darin die Geschichte von vier Frauen, die mit der Diagnose einer geistigen Behinderung in einer betreuten Wohnung im gentrifizierten Barcelona leben. Nati, Marga, Àngels und Patri versuchen sich in integrativen Tanzgruppen und in der Hausbesetzerszene Barcelonas von der Bevormundung durch staatliche Einrichtungen und Justiz zu befreien und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Roman wurde von El País als «ein Meilenstein der jüngsten spanischen Romanliteratur» gefeiert.
Leichte Sprache. Roman. Aus dem Spanischen von Friederike von Criegern. Matthes & Seitz 2022
Marie NDiaye
Marie NDiaye wurde 1967 in Pithiviers (Frankreich) geboren. Sie wuchs in einem südlichen Vorort von Paris auf, wohin ihre französische Mutter nach der Trennung vom senegalesischen Vater gezogen war. NDiaye gilt als «Wunderkind der französischen Literatur»: Ihr erster Roman erschien, als sie 17 Jahre alt war. Ihr ebenso fulminantes wie kunstvolles Nachfolgewerk Comédie classique (1987) besteht aus einem einzigen Satz, der sich über hundert Seiten erstreckt. Seitdem hat sich ihre Sprache sukzessive vereinfacht, ohne die Raffinesse genauester Beobachtung und den charakteristischen Ton von unterschwelliger Bedrohung zu verlieren. Im Mittelpunkt ihrer Romane stehen oft ungeklärte Geheimnisse und Aussenseiter, die sich mit unzureichenden Kräften und einem Gefühl der Unterlegenheit und Überforderung um Anerkennung bemühen.
In ihrem neuen Roman, Die Rache ist mein, wird eine Anwältin beauftragt, eine Mutter zu verteidigen, die ihre drei Kinder ermordet haben soll. Die Verteidigerin glaubt, dem Vater der Kinder viele Jahre zuvor in einer merkwürdigen Situation begegnet zu sein. Was ist hier Wahrheit, was Lüge? Und ist es möglich, ohne Gewissheit zu leben? Der Roman über eine Frau in einer Extremsituation war in Frankreich das literarische Ereignis des Jahres: ein raffiniertes, abgründiges Spiel mit unseren Erwartungen und Ängsten.
«Marie NDiaye hat einen schonungslosen, kritischen und aufwühlenden Gesellschaftsroman geschrieben, der die Abgründe der bürgerlichen Psyche erkundet. Ein wahrlich literarisches Ereignis», resümiert Gerhard Klas für WDR 3.
Spycher: Literaturpreis Leuk
Die Rache ist mein. Roman. Suhrkamp 2021
Die Chefin. Roman einer Köchin. Suhrkamp 2017
Ladivine. Roman. Suhrkamp 2014
Alle: Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer.
Katharina Pistor
Katharina Pistor, geboren 1963 in Freiburg im Breisgau, ist eine deutsche Juristin und lehrt an der Columbia University in New York. Ihre Forschung und Lehre umfasst Gesellschaftsrecht, Corporate Governance, Geld und Finanzen, Eigentumsrechte sowie Rechtsvergleichung und Rechtsinstitutionen. Für ihre Arbeiten wurde sie vielfach ausgezeichnet.
Es gibt keinen globalen Staat und kein globales Recht, aber einen globalen Kapitalismus. Wie ist das möglich? Katharina Pistor beschreibt in ihrem Buch Der Code des Kapitals die Macht von Besitzansprüchen. Die Grundthese dieses Buches ist, dass sich durch die oft offenen Formulierungen der staatlichen Gesetze reiche Firmen und Konsortien mit Hilfe von versierten Anwälten ihre Besitzansprüche privatrechtlich formulieren und so sichern lassen. Eine liberale Verfassung ermöglichte so, dass Wirtschafts- und Rechtspositionen immer mehr zu Gunsten grossen Kapitals festgelegt wurden. Pistor fasst zusammen: «Rechtsordnungen liessen sich natürlich auch anders gestalten, sie könnten andere Interessen schützen. Das ist eine politische Entscheidung. Die Frage ist, wie eine Gesellschaft ihre Rechtsordnung sich entwickeln lässt, wie aktiv der Gesetzgeber sie gestaltet und wie offen das Recht für künftige Entwicklung ist.»
Project Syndicate hält fest: «In einem der vielleicht wichtigsten Sachbücher des Jahrzehnts wirft Katharina Pistor Licht auf die Art und Weise, wie Rechtsordnungen die Konturen des wirtschaftlichen Handelns und des Eigentums im gegenwärtigen globalen Kapitalismus prägen.»
Gesprächsreihe «Perspektiven»
Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft. Aus dem Amerikanischen von Frank Lachmann. Suhrkamp 2020
Englischer Originaltitel: The Code of Capital. How the Law Creates Wealth and Inequality. Princeton University Press 2019
Teresa Präauer
Teresa Präauer ist Autorin und Bildende Künstlerin. Sie wurde 1979 in Linz geboren und studierte Germanistik und Malerei in Salzburg, Berlin und als Postgraduate in Wien, wo sie auch heute lebt.
In ihren Arbeiten finden sich Literatur und Bildende Kunst oftmals eng verbunden: Ihre erste Publikation Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken vermischt Zeichnungen und poetische Miniaturen. Zudem gestaltet die Autorin neben dem Inhalt ihrer Romane und Essays auch die Umschläge ihrer Bücher. In ihrer Kolumne Präauer streamt in der Literaturzeitschrift Volltext befasst sie sich regelmässig mit der Sprache und Ästhetik von Internet und Reality-TV. In diesem Frühjahr erschien Präauers neuestes Buch, das einer Figur gewidmet ist, die in ihren Arbeiten bisher wenig Beachtung fand: dem Mädchen. In persönlichen Erinnerungsstücken und literarischen Betrachtungen erzählt Mädchen über Kindheit und Konkurrenz, Mädchenbanden und Bubenspiele. Über Zugehörigkeit und Abgrenzung und über die Schwierigkeiten und das Glück des Heranwachsens. Katja Gasser zeigte sich im ORF begeistert: «Autobiografisches und Essayistisches, Erfundenes und Gefundenes wird zart-wild durcheinandergewirbelt, auf dass auf der Seite des/der Lesenden Glücks- und Erkenntnismomente entstehen können.»
Schwerpunkt Literaturkritik: Live-Podcast
Mädchen. Wallstein 2022
Oh Schimmi. Roman. Wallstein 2016
Für den Herrscher aus Übersee. Roman. Wallstein 2012
Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken. Edition Krill 2009
Gabriele Riedle
Gabriele Riedle wurde 1958 in Stuttgart geboren und lebt heute in Berlin. Sie veröffentlichte vielfach ausgezeichnete Reportagen von allen Kontinenten, aber vor allem aus Krisen- und Konfliktgebieten zwischen Afghanistan und Libyen, Darfur und Tschetschenien. Sie war unter anderem Kulturredakteurin bei der taz und bei der Woche und Redakteurin und Reporterin bei GEO. 2017 gewann sie mehrere Preise für die Dokumentation Die heimliche Revolution. Frauen in Saudi-Arabien. 2018 war sie Gastprofessorin an der University of Virginia in Charlottesville (USA) und lehrte zur Geschichte der Kriegsberichterstattung.
In ihrem neuen Buch In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. lässt Gabriele Riedle eine Frau sprechen in einem durch und durch männlichen Genre: Das weltumspannende Romanabenteuer ist hochaktuell, nicht nur mit Blick auf die Mechanismen, die zu den Fälschungen des Spiegel-Reporters Claas Relotius führten, sondern auch angesichts der Verunsicherung des Westens nach dem Rückzug aus Afghanistan, mit dem der Roman endet.
Aus dem Radio erfuhr Gabriele Riedles Erzählerin vom gewaltsamen Tod des berühmten britischen Kriegsfotografen Tim H. in Libyen. Nicht lange zuvor war sie mit ihm als schreibende Reporterin unterwegs im Bürgerkriegsland Liberia. Anlass für sie, von ihm zu erzählen, von seinem Leben und von seinem Sterben, aber auch von ihren eigenen Erfahrungen in allen möglichen Winkeln der Erde, in Afghanistan und im Dschungel von Papua-Neuguinea, im Inneren der Mongolei und im Kaukasus, von den Höhen des Himalaya und der Reise nach Liberia.
In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman. Die Andere Bibliothek 2022
Überflüssige Menschen. Die Andere Bibliothek 2012
Karl Rühmann
Karl Rühmann, 1959 geboren, wuchs in Jugoslawien und den USA auf. Er studierte Germanistik, Hispanistik und Allgemeine Literaturwissenschaft in Zagreb und Münster und war Sprachlehrer und Verlagslektor. Heute lebt er in Zürich als Literaturübersetzer und Autor von Romanen, Hörspielen und zahlreichen international erfolgreichen Kinderbüchern. 2020 war sein Roman Der Held für den Schweizer Buchpreis nominiert.
Sein neuer Roman Die Wahrheit, vielleicht öffnet die Tür ins Leben von Felipe ten Holt. Der Protagonist hat immer schon zwischen verschiedenen Welten gelebt: als Sohn einer Spanierin und eines Niederländers; als Zielscheibe der Eifersucht seines Stiefvaters, der ihm den Weg zur Mutter versperrt; als Verhörspezialist, der die Wahrheit im Dickicht aus Worten und Gesten, Täuschung und Enthüllung sucht. Nach einigen beruflichen und privaten Rückschlägen hofft Felipe seinen inneren Frieden in der Arbeit als freier Dolmetscher zu finden. In diesem Beruf ist er zwar – so seine Hoffnung – für die Kommunikation zuständig, aber nicht für deren Folgen. Das soll sich aber als eine Illusion erweisen. Felipe sucht Zusammenhänge, Verbindungen zwischen Menschen, Dingen, Gedanken, Problemen. Seine Suche ist bezeichnend für eine Zeit, in der man vernetzt vereinsamt und allen Ortungsapps zum Trotz immer wieder die Orientierung verliert.
Karl Rühmann zeigt auf sehr feine Art, dass Kommunikation mehr ist als Sprache, und er zeigt, wie schwer es für Menschen ist, die in der dominierenden Art der Kommunikation nicht «verhandlungssicher» sind – Dolmetscher hin oder her.
Die Wahrheit, vielleicht. Roman. rüffer & rub 2022
Der Held. Roman. rüffer & rub 2020
Glasmurmeln, ziegelrot. Roman. rüffer & rub 2018
Karl Schlögel
Der Historiker und Publizist Karl Schlögel, geboren 1948, studierte Osteuropäische Geschichte, Philosophie, Soziologie und Slawistik an der Freien Universität Berlin und promovierte zum Dr. phil. mit einer Arbeit über Arbeiterkonflikte in der poststalinistischen Sowjetunion. Er ist freiberuflich tätig als Übersetzer und Schriftsteller, hatte zahlreiche Aufenthalte in den USA und Osteuropa, Forschungsaufenthalte in Moskau und Leningrad. 1990 wurde er auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz berufen, dann lehrte er von Oktober 1994 bis März 2013 an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er lebt in Berlin.
Schlögels Schwerpunkte sind die Kultur der Moderne im östlichen Europa, insbesondere in Russland, Geschichte des «Stalinismus als Zivilisation», Geschichte der Zwangsmigration und Kulturen der Diaspora im 20. Jahrhundert, Stadtgeschichte und Urbanität im östlichen Europa und theoretische Probleme einer räumlich aufgeschlossenen Geschichtsschreibung.
Seine Geschichten erzählt Karl Schlögel entlang von Orten und Landschaften. Alles, was er beschreibt, hat er sich vorher mehrfach angesehen, um «sich selbst ein Bild zu machen». Diese Art des Arbeitens und Erzählens, diese Tiefenbohrungen in den historischen Sedimenten Mittel- und Osteuropas, bilden die Grundlagen für Schlögels ganz eigenen, unverwechselbaren Stil: Er ist der Literat unter den deutschsprachigen Historikern. Oder wie Die Zeit formuliert: «Unter den deutschen Osteuropa-Historikern der Gegenwart ist Karl Schlögel eine Ausnahmeerscheinung. Wort- und schriftgewaltig wie wenige seiner Zunft.»
Gesprächsreihe «Perspektiven»
Der Duft der Imperien. «Chanel No°5» und «Rotes Moskau». Hanser 2020
Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt. C.H. Beck 2017
Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen. Hanser 2015
Elke Schmitter
Elke Schmitter, geboren 1961 in Krefeld, studierte Philosophie in München, arbeitete als Lektorin, Journalistin, freie Kritikerin und Essayistin und ist seit 2001 Mitglied der Spiegel-Kulturredaktion. Sie veröffentlichte Gedichte, Romane und einen Essayband über Heinrich Heine. Ihre Literatur wurde in 21 Sprachen übersetzt. Sie ihrerseits überträgt hin und wieder Lyrik aus dem Englischen ins Deutsche.
In ihrem neuen Roman Inneres Wetter erleben wir die Vorbereitungen und die Reise dreier erwachsener Geschwister zu einem Überraschungsbesuch bei ihrem verwitweten Vater, anlässlich seines 77. Geburtstags. In den Wochen bis zum Fest gibt es einige Spannungen und Verunsicherungen im Leben der Geschwister; es ist, wie wenn sie Rechenschaft ablegen müssten vor einer übergeordneten Instanz.
Was hält Familien zusammen? Woran bemisst sich ein gelungenes Leben? Elke Schmitter erzählt in ihrem neuen Roman von einem Familientreffen auf schwankendem Grund. Die Geschwister zeigt Schmitter mit genauen Schilderungen, lebendigen Dialogen und oft auch in fast komisch wirkenden Lebenssituationen. Die Geschichte über Geschwister, die nicht mehr zusammengehalten werden von Eltern und der von ihnen vorgegebenen familiären Grosswetterlage, ist klug angelegt und mit vielen literarischen Referenzen angereichert.
Die taz fasst zusammen: «Dieser Roman ist nicht nur ein Familiengemälde, sondern auch Zeitdiagnose: eine behutsame Erkundung des bundesrepublikanischen Untergewebes, auf dem die Figuren sich bewegen und entfalten.»
Gesprächsreihe «Perspektiven»
Inneres Wetter. Roman. C.H. Beck 2021
Veras Tochter. Roman. Berlin Verlag 2006
Frau Sartoris. Roman. Berlin Verlag 2000
Samuel Schnydrig
Samuel Schnydrig, geboren 1982, ist Gitarrist und Sänger, bis 2010 bei der Punkband Grannysmith, seither bei der Indie-Formation Them Fleurs. Daneben ist er als Ein-Mann-Kapelle Suma unterwegs, organisiert Konzerte und kuratierte jüngst die Ausstellung «Holz la redu» des verstorbenen Holzschneiders Willy Thaler. Samuel Schnydrig lebt in Brig.
Klaus – Leben vor dem Steinschlag ist sein literarisches Debüt. Der Musikroman erzählt die Entwicklung eines Teenagers der 90er Jahre in einem ruhigen Städtchen im Idyll der Schweizer Berge hin zum Mittdreissiger der Gegenwart: wie Klaus die Musik und den Rausch entdeckt, seine erste Band gründet, sich unsterblich verliebt, aus der Stammkneipe in die weite Welt zieht, von dramatischen Veränderungen überfahren wird und irgendwie doch zum Glück zurückfindet. Begleitet wird Klaus auf seinem Weg von liebevoll gezeichneten Figuren wie dem skurrilen Kneipeninhaber Marcel, dem philosophierenden alten Viktor, der selbstsicheren Eigenbrötlerin Aiko oder seinem Jugendfreund Basters, der ihn und auch sich selbst immer wieder überfordert. Siebzehn Jahre pralle Lebensgeschichte schildert der Roman in siebzehn Kapiteln, mit Illustrationen der Zürcher Künstlerin Paula Troxler, die ihre feinsinnigen Schwarz-Weiss-Zeichnungen elegant mit für Klaus prägenden Songzitaten verbindet. «Das Buch hat meine Seele erwärmt», schreibt Esther Pfammatter-Hutter im Walliser Bote. «Hinter der Geschichte, die so wild und verrückt daherkommt, verbirgt sich eine tiefe Sensibilität.»
Klaus – Leben vor dem Steinschlag. Roman. Zytglogge 2021
Adania Shibli
Adania Shibli, geboren 1974 in einem kleinen palästinensischen Dorf, das sich heute innerhalb der Grenze Israels befindet, studierte Kommunikation und Journalismus. Shibli promovierte in London im Bereich Medien- und Kulturwissenschaften und war Postdoktorandin und EUME-Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Gegenwärtig lebt sie in Berlin und Jerusalem. Adania Shibli sagt zwar, sie schreibe nicht über Palästina, ihre Texte sind jedoch von ihren Erfahrungen in ihrem Heimatland geprägt. Sie erzählt vom alltäglichen Leben in einem Land, das immer wieder die politischen Nachrichten bestimmt. Die Handlungen gehen von historischen Ereignissen aus, und Adania Shibli führt uns vor Augen, was es bedeutet, sich mit der Geschichte Palästinas auseinanderzusetzen, sich zugleich in dessen Gegenwart zurechtzufinden und dabei die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen. In ihrem ersten auf Deutsch erschienenen Buch, Eine Nebensache, geht eine junge Frau aus Ramallah einem schlimmen Vorfall nach: Ein Jahr nach dem Nakba, als mehr als 700 000 Palästinenser als Folge der Staatsgründung Israels aus Palästina vertrieben wurden, nehmen israelische Soldaten ein junges Beduinenmädchen gefangen, vergewaltigen und töten es und vergraben die Leiche anschliessend im Sand. Die Geschichten der beiden Frauen werden zu einer eindringlichen Meditation über Krieg, Gewalt und die Frage nach Gerechtigkeit im Erzählen verwoben.
Pankaj Mishra ist begeistert: «Ein aussergewöhnliches Kunstwerk, das immer wieder überrascht und fesselt: eine äusserst rare Mischung aus moralischer Intelligenz, politischer Leidenschaft und formaler Virtuosität.»
Eine Nebensache. Roman. Aus dem Arabischen von Günther Orth. Berenberg 2022
Peter Stamm
Peter Stamm, geboren 1963, wuchs in Weinfelden auf. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und studierte einige Semester Anglistik, Wirtschaftsinformatik, Psychologie und Psychopathologie. Anschliessend arbeitete er als Journalist und verfasste Hörspiele. 1998 erschien sein vielbeachteter Debütroman Agnes, der bislang in 15 Sprachen übersetzt wurde. Mit seinen seither in rascher Folge veröffentlichten Büchern hat er sich fest in der deutschsprachigen Literatur etabliert.
Peter Stamm folgt der poetologischen Maxime, Erklärungen aus dem Erzählten fernzuhalten und Bilder und Dialoge für sich selbst sprechen zu lassen. «Ganz viel in meinen Büchern geschieht über Wahrnehmung oder über die Beschreibung von Wahrnehmungen. Dass nicht einfach geschrieben wird, so ist es, sondern so nehme ich das wahr. Ich denke, das macht bis zu einem gewissen Punkt die Lebendigkeit eines Textes aus, dass beim Leser Sinneseindrücke ankommen.»
Im Roman Das Archiv der Gefühle legt ein eigenbrötlerischer Archivar, der seine Stelle verloren hat, ein sehr privates Archiv der «Liebe» seines Lebens an. Es ist vierzig Jahre her, seit er sie gesehen hat. Er hat sich immer mehr zurückgezogen und sein eigentliches Leben versäumt. Aber jetzt taucht Franziska wieder auf. Gefährdet das seine geschützte Existenz, oder nimmt er diese zweite Chance wahr?
Stamms eindrücklich verknappte Sprache kommt fast nur mit Hauptsätzen und mit wenigen, einfachen Verben und Adjektiven aus. Diese Kargheit gibt den Blick auf die Besonderheiten des Erzählten frei: auf Verweise, Tempomodulationen und auf das Spiel mit den Erwartungen der Leserinnen und Leser.
Das Archiv der Gefühle. Roman. S. Fischer 2021
Wenn es dunkel wird. Erzählungen. S. Fischer 2020
Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt. Roman. S. Fischer 2018
Aleš Šteger
Aleš Šteger, geboren 1973 in Ptuj, Jugoslawien, ist der wohl bekannteste zeitgenössische slowenische Dichter und Schriftsteller. Er ist zudem Lektor, übersetzt aus dem Spanischen und Deutschen und arbeitet als Journalist. Aleš Šteger studierte in Ljubljana, wo er heute arbeitet und lebt. Für seine Gedichte, die in viele Sprachen übersetzt und weltweit in Literaturmagazinen veröffentlicht wurden, erhielt er zahlreiche Preise. Er ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz.
Einmal im Jahr arbeitet Aleš Šteger an einem Logbuch der Gegenwart, in dem er zwölf Stunden lang einen Ort beschreibt – in Mexiko, Indien oder Fukushima.
In seinem neuen Roman Neverend erzählt er von angespannten Zeiten: Die EU befindet sich mit dem Rest der Welt in Handelskriegen, in den Supermärkten gibt es keine Bananen mehr. In Slowenien stehen Wahlen vor der Tür, und in Ljubljana treffen Proteste auf Gegenproteste, extremistische Parteien befinden sich im Aufwind. Inmitten dieses Chaos durchlebt eine junge Schriftstellerin ihre ganz eigene Krise.
Neverend ist ein hochpoetischer und gesellschaftskritischer Roman, der zeigt, was mit uns allen passieren könnte – wenn es nicht schon längst passiert. Aleš Šteger macht deutlich, welche Auswirkungen die wirtschaftlichen Verflechtungen unserer Zeit haben, denn wie die Protagonistin seines Romans stellen wir mehr und mehr fest: «Wie eine Seifenblase zerplatzt so nebenbei die angebliche persönliche Freiheit.»
Neverend. Roman. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz und Alexandra Natalie Zaleznik. Wallstein 2022
Über dem Himmel unter der Erde. Gedichte. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz. Hanser 2019
Logbuch der Gegenwart. Taumeln. Mit einem Vorwort von Péter Nádas. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz. Haymon 2016
Levin Westermann
Levin Westermann, geboren 1980, studierte Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main und von 2009 bis 2012 am Schweizerischen Literaturinstitut. Er lebt in Biel.
Für seinen Lyrikband bezüglich der schatten erhielt er den Schweizer Literaturpreis 2021 mit folgender Begründung: «In der vierteiligen Komposition schieben sich gegenläufige Realitäten ineinander. Sprechinstanzen – wir, ein Fuchs, Anne Carson, Roland Barthes oder Gott – stehen auf postapokalyptischem Grund, bewahren sich aber den Humor und ihre Ruhe, weil es ohnehin zu spät ist. Aus einer zeitlosen Klangsphäre heraus werden existenzielle Fragen erörtert. Doch ob man den Schauplatz nach dem Fest oder nach der Flucht betritt, bleibt in der Schwebe. In hochpoetischer Eleganz verschmelzen hier die Kategorien: Zwischen Lyrik und Dramolett, zwischen Mensch und Tier, zwischen Social Media und mythologischen Urgründen.»
Vergraben in den Texten warten die Stimmen, die Levin Westermann in farbe komma dunkel freilegt, Schicht für Schicht, um ihre Gedanken zu vernehmen – und ihnen dann zu antworten, seine eigene Stimme dem Chor des endlosen Gesprächs hinzuzufügen. Denn das Schreiben ist immer auch ein Überschreiben. Literatur ist Palimpsest. Und alles ist verbunden, im Text und in der Welt. Kein Lebewesen existiert für sich allein, und kein Text entsteht aus dem Nichts.
Michael Braun bescheinigt Levin Westermann in der NZZ: «Westermann ist ein Solitär innerhalb seiner Zunft, er arbeitet mit grosser Ernsthaftigkeit an der Poetik eines fatalistisch gestimmten Existenzialismus.»
Preisträger Schweizer Literaturpreis 2021 des BAK
farbe komma dunkel. Gedichte. Matthes & Seitz 2021
Ovibos moschatus. Essays. Matthes & Seitz 2020
bezüglich der schatten. Gedichte. Matthes & Seitz 2019
Kathy Zarnegin
Kathy Zarnegin, geboren 1964 in Teheran, verbrachte ihre Kindheit im Iran und lebt seit 1979 in Basel. Neben ihrer Tätigkeit als Psychoanalytikerin ist sie Lyrikerin, Essayistin, Übersetzerin aus dem Persischen, Philosophin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Zudem hat sie das Lacan Seminar Zürich mitbegründet und war bis 2018 Mitorganisatorin des Internationalen Lyrikfestivals Basel.
2017 erschien Zarnegins Debütroman Chaya, die Geschichte eines jungen Mädchens, das mit 14 Jahren eine neue Heimat finden muss; ein vielstimmiger Roman, der mehrere Textsorten vereint. Er schöpft aus Kathy Zarnegins eigener Biografie und weist signifikante Parallelen zu ihrem Leben auf. 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, passte Zarnegins Buch Exerzitien des Wartens, ein farbiges Spektrum von Reflexionen, informativen Kurzessays und überraschenden Einfällen, wunderbar, um die Zeit wie im Fluge vergehen zu lassen.
Mit Lost in Hell überrascht uns die Autorin mit 60 Gedichten, die formal ein breites Spektrum abdecken: vom kurzen Buchstabengedicht bis zur mehrteiligen Selbstdurchleuchtung. Gemeinsam ist ihnen allen ein Wortwitz, der mit minimalen Verfremdungen arbeitet, die mitunter wie orthographische Fehler ausschauen. Kathy Zarnegin zielt nicht auf ein schnelles Verständnis ab, sie schafft lyrische Gebilde, die immer wieder erschlossen, aufgeschlossen, gehoben werden wollen; die zur Einkehr einladen und zur Freude am Entdecken.
Lost in Hell. Gedichte. Bucher 2021
Exerzitien des Wartens. Bucher 2020
Chaya. Roman. Unionsverlag 2019 (Originalausgabe weissbooks 2017)