AUTORINNEN UND AUTOREN
Am 20. Internationalen Literaturfestival
Leukerbad nehmen teil:
Christoph W. Bauer, Österreich
Anneke Brassinga, Niederlande
Marcel Beyer, Deutschland
S. Corinna Bille, Schweiz
Roland Buti, Schweiz
Gerhard Falkner, Deutschland
Jérôme Ferrari, Frankreich
David Grossman, Israel
Sandra Gugic, Österreich
Fawwaz Haddad, Syrien
Nino Haratischwili, Deutschland/Georgien
Judith Hermann, Deutschland
Thomas Hettche, Deutschland
Thomas Hürlimann, Schweiz
Pierre Imhasly, Schweiz
Meena Kandasamy, Indien
Thomas Kapielski, Deutschland
Anne-Marie Kenessey, Schweiz
Barbara Lehmann, Deutschland
Urs Mannhart, Schweiz
Julien Maret, Schweiz
Shahin Najafi, Iran/Deutschland
Katja Oskamp, Deutschland
Rosa Pock, Österreich
Werner Ryser, Schweiz
Joachim Sartorius, Deutschland
Armin Senser, Schweiz
Peter Stamm, Schweiz
Heinrich Steinfest, Österreich
Christian Uetz, Schweiz
Steven Uhly, Deutschland
Serhij Zhadan, Ukraine
Christoph W. Bauer
Christoph W. Bauer, in Kärnten geboren, lebt und arbeitet seit Jahren in Innsbruck.
Seine Lyrik und Prosaarbeiten versteht Christoph W. Bauer auch als Versuch des Weiterschreibens vorgegebener Traditionen. Er wandelt Themen von Werken der Weltliteratur in einem unverwechselbaren Tonfall ab, erneuert und denkt weiter.
Auch die Beobachtungen von Natur und Alltag, von Leidenschaften und das Hinterfragen modischer Begriffe, aktueller Nachrichten und medienträchtiger Fakten sind wichtige Motive in der Dichtung von Christoph W. Bauer. Dieses breite Spektrum an Themen entspricht auch der Vielfalt der stilistischen Mittel, die er mit grossem handwerklichem Können und eleganter Zurückhaltung präzise und sensibel einsetzt.
Poesie und Punk, Catull und «Die Toten Hosen» – zwischen diesen nur auf den ersten Blick widersprüchlichen Polen eröffnet Christoph W. Bauer das Feld für seinen Lyrikzyklus: MEIN LIEBEN MEIN HASSEN MEIN MITTENDRIN DU. In 37 Gedichten lässt er ein lyrisches Ich alle Phasen einer bezaubernd schönen und traurigen Liebe erleben: die erste Begegnung, neugieriges Erkunden, Lust und Überschwang, Routine und Brüche, die sich vertiefen zum Trennungshass. Das sind die Stationen, die bereits der römische Dichter Catull in einem Stück Weltliteratur erzählt hat: «odi et amo», «ich hasse und ich liebe».
Bauer stellt sich der Tradition, unterläuft sie, betreibt ein Spiel mit literarischen Masken. Mühelos setzt er Welten in Verbindung, knüpft an die Überlieferung antiker Poesie ebenso an wie an den legeren Tonfall moderner Popkultur und wechselt ungezwungen die Stimmungen und Tonlagen. Frisch und unkonventionell, ehrlich und voller Selbstironie erzählt er eine Liebesgeschichte – in Gedichten, die sich im besten Sinn zeitgemäss und zugleich quer zum Zeitgeist präsentieren.
ORANGE SIND DIE ÄPFEL BLAU. Gedichte. Haymon Verlag 2015
IN EINER BAR UNTER DEM MEER. Erzählungen. Haymon Verlag 2013
GETAKTET IN HERZSTÄRKENDER FREMDE. Gedichte. Haymon Verlag 2012
MEIN LIEBEN MEIN HASSEN MEIN MITTENDRIN DU. Gedichte. Haymon Verlag 2011
Anneke Brassinga
Seit Mitte der 80er Jahre bezaubert die im niederländischen Dorf Schaarsbergen geborene Lyrikerin Anneke Brassinga ihre Leserschaft mit einem einzigartigen Gespür für das Material der Sprache, das oftmals selbst im Vordergrund ihrer Gedichte steht. Dass sie zur Dichterin wurde – 1987 debütierte sie mit dem Band AURORA, wonach bis dato acht weitere Lyrikpublikationen sowie zwei Prosawerke und ein Essayband folgten –, ist eher einem Zufall zu verdanken: Mitte der 70er Jahre wurde Brassinga von der damals noch jungen Zeitschrift «De Revisor» gebeten, einzelne Gedichte aus Sylvia Plaths ARIEL ins Niederländische zu übersetzen. Sie selbst mochte Gedichte bis zu diesem Zeitpunkt nicht besonders – sie galten ihr, wie Brassinga gesteht, als «Freibrief für Effekthascherei, eitle Fratzereien, Gefühlsduselei». Doch bei der Lektüre von Plaths Lyrik begreift sie, hier ist nicht einfach Dichtung am Werk, sondern eine «unter Hochspannung stehende Substanz».
Die Lyrikerin Brassinga gäbe es also nicht ohne die Übersetzerin Brassinga (als solche hat sie unter anderem Samuel Beckett, Ingeborg Bachmann oder Vladimir Nabokov ins Niederländische übertragen): «Schreiben, und gewiss das Schreiben eines Gedichts, ist dasselbe wie Übersetzen, nur in umgekehrter Reihenfolge: ein behutsames Tasten nach dem klopfenden Herzen des eigenen Textes.» Bestechend ist der Erfindungsreichtum ihrer Sprache. Dennoch bewegen sich ihre Gedichte nicht einfach in einer rein sprachlich definierten Parallelwelt, sondern wurzeln sehr wohl in der Realität. Sie erachtet das Dichten als eine Art Schöpfung, die etwas ins «Seyn» bringt (so der Titel eines ihrer Gedichte).
In Zusammenarbeit mit dem DAAD Berlin.
Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung:
IMMER WIRD ETWAS AUF DIE SPITZE GETRIEBEN. Fünfzehn Gedichte. Aus dem Niederländischen übersetzt von Maria Csollány und Ard Posthuma. Nederlands Letterenfonds 2013
DAS KLOPFENDE HERZ DES TEXTES. Übersetzen und Dichten. In: Schreibheft 72. Zeitschrift für Literatur 2009. S. 161–163
GEDICHTE. In: Wespennest Nr. 165. 2013. S. 10–12 (aus dem Niederländischen von Maria Csollány)
Marcel Beyer
Marcel Beyer wuchs in Kiel und Neuss auf. Er studierte Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Ab 1989 gab er an der Universität Siegen gemeinsam mit Karl Riha die Reihe VERGESSENE AUTOREN DER MODERNE heraus. Von 1990 bis 1993 arbeitete er als Lektor der Literaturzeitschrift KONZEPTE mit; von 1992 bis 1998 veröffentlichte er in der Musikzeitschrift SPEX. 1996 und 1998 war er Writer in residence am University College London und an der University of Warwick in Coventry. Bis 1996 lebte Marcel Beyer in Köln, seitdem ist er in Dresden ansässig.
Der Spycher-Preisträger, der zunächst stark beeinflusst war von Friederike Mayröcker, deren Werke er auch herausgegeben hat, und den Autoren des französischen Nouveau Roman, schreibt Lyrik, Essays und Romane, die sich immer wieder auf eigenwillige Weise mit der deutschen Geschichte – insbesondere dem Dritten Reich – auseinandersetzen.
Nun ist – zwölf Jahre nach seinem letzten – sein neuer Gedichtband erschienen: GRAPHIT. Marcel Beyer legt seit seinen Anfängen grossen Wert auf die Intonation seiner Gedichte, auf die orale Tradition. Er knüpft damit an die Zeit vor dem Buchdruck an, als die Lyrik vor allem auf Mund und Ohr angewiesen war, auf den Performancecharakter. Wenn man seine Gedichte laut spricht, bemerkt man Wortverbindungen, Wiederaufnahmen, Anspielungen, die in erster Linie dem Rhythmusgefühl geschuldet sind.
Bei vielen der Gedichtzyklen des neuen Gedichtbandes handelt es sich um Überschreibungen oder Übermalungen und zugleich um Hommagen an Schriftstellerkollegen oder Maler und Fotografen, mit denen Beyer sich beschäftigt hat. Genannt werden unter anderem Thomas Kling, Volker Braun, Wolfgang Hilbig, Elias Canetti, Georg Trakl, Gottfried Benn und Ezra Pound. Das ist das Feld, in dem der Lyriker Marcel Beyer sich bewegt.
GRAPHIT. Gedichte. Suhrkamp Verlag 2014
PUTINS BRIEFKASTEN. Erzählungen. Suhrkamp Verlag 2012
KALTENBURG. Roman. Suhrkamp Verlag 2008
S. Corinna Bille
1975 erhielt S. Corinna Bille für den Erzählband LA DEMOISELLE SAUVAGE, erschienen bei Gallimard, die Bourse Goncourt de la Nouvelle, 1974 den Schillerpreis für ihr Gesamtwerk – eine späte Ehrung für eine grosse Schriftstellerin, von der bei ihrem Tod 1979 nur der frühe Roman THÉODA, 1944 im Original erschienen, auf Deutsch vorlag.
Geboren am 29. August 1912, war sie getauft auf den Namen Stéphanie – ihren später angenommenen Vornamen Corinna leitete sie von Corin ab, dem Heimatdorf ihrer Mutter Catherine Tapperel. Diese kam ursprünglich als Haushaltshilfe in die Familie des Malers Edmond Bille und seiner ersten Frau; nachdem diese gestorben war, heiratete sie den wesentlich älteren Künstler. Die Liebesgeschichte ihrer Eltern erzählt Corinna Bille später in der Erzählung «Virginia 1981» (erschienen 1979).
Im Januar 1942 begegnete Corinna Bille erstmals dem Schriftsteller Maurice Chappaz. Das Paar heiratete im Juni 1947 – Sohn Blaise war bereits dreijährig. Corinna Bille war zugleich Schriftstellerin, Mutter von drei Kindern und Ehefrau eines Schriftstellers. Erschwerend hinzu kamen häufige Umzüge: Das neu erbaute Haus in Veyras brachte diesbezüglich 1958 endlich Ruhe. Das Chalet in Vernys bot dem Paar ab 1964 einen stillen Zufluchtsort. Zu einem letzten Umzug in die alte Abtei in Le Châble kam es im Herbst 1978. Nur wenige Monate später fühlte sich Corinna Bille müde und erschöpft, was sie auf das Schreiben der beiden Erzählungen für den Band DEUX PASSIONS (dt. ZWEI MÄDCHENLEBEN) zurückführte: «Dieses Buch ist tatsächlich das Fleisch meines Lebens.» Nach einer letzten Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn im September 1979 erkrankte Corinna Bille ernsthaft und verstarb knapp vier Wochen später am 24. Oktober 1979 im Spital Siders. Begraben wurde sie auf dem Friedhof von Veyras.
Siehe auch «Pässe, Passagen, Übergänge» – Drei Stimmen zu S. Corinna Bille
VENUSSCHUH. Roman. Aus dem Französischen von Hilde und Rolf Fieguth. Rotpunktverlag 2015
THÉODA. Roman. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. Rotpunktverlag 2014
DUNKLE WÄLDER. Roman. Aus dem Französischen von Hilde Fieguth. Rotpunktverlag 2012
SCHWARZE ERDBEEREN. Erzählungen. Aus dem Französischen von Marcel Schwander. Nagel & Kimche 2012
Roland Buti
Roland Buti, in Lausanne geboren, ist Geschichtslehrer an einem Gymnasium und widmet sich daneben der Forschung und Literatur. Er hat 1996 als Historiker durch seine Doktorarbeit über die Schweizer extreme Rechte und deren Abwehr der Moderne für Aufsehen gesorgt.
DAS FLIRREN AM HORIZONT ist Butis dritter Roman und der erste ins Deutsche übersetzte.
Er erzählt ist die Geschichte von Gus, einem Bauernsohn, und spielt im Hitzesommer 1976. Der Roman erzählt, wie Hitze und Dürre Mensch und Natur zusetzen und Entwicklungen in Gang setzen, die sich schon lange am Horizont abzeichneten. Die Moderne hält Einzug im Dorf; die Voraussetzungen der Landwirtschaft verändern sich durch die Massenproduktion, die neuen Rollenbilder verheissen neue Freiheiten für die Frauen und bringen scheinbar unerschütterliche Grundfeste ins Wanken. «Die Welt, die Gus bis dahin als statische Einheit empfunden hatte, entpuppte sich als dynamisches Gefüge, und alle Versuche, dessen Wendungen zu stoppen, mussten missglücken – da sich der Bub auch selber fortentwickelte», wie die «NZZ» schreibt.
Die «Die Zeit» wählte DAS FLIRREN AM HORIZONT zum «Buch zum Jahreswechsel» und schreibt: «Roland Buti kennt die dörfliche Welt, die in rasender Eile verschwand. Er schildert, wie die ökonomische Modernisierung der Landwirtschaft und des Dorflebens eine Art Naturgewalt entfaltet, wie die meteorologische Natur mit der modernen Menschennatur ein Bündnis eingeht und alles Bekannte unabwehrbar ins Unbekannte transformiert. [...] Etwas geht zu Ende, etwas Neues beginnt, man lebt zwischendurch auf der Schwelle. Ob der Umbruch aber eine Katastrophe bedeutet, liegt im Auge der Betrachterin.»
DAS FLIRREN AM HORIZONT. (Frz. Le milieu de l'horizon). Roman. Aus dem Französischen von Marlies Russ. Nagel & Kimche 2014
Veröffentlichungen auf Französisch:
LUCE ET CÉLIE. Roman. Editions Zoe 2007
UN NUAGE SUR L'ŒIL. Roman. Editions Zoe 2004
Gerhard Falkner
Gerhard Falkner gilt als einer der einflussreichsten und stilprägendsten zeitgenössischen deutschen Lyriker. Er lebte nach abgeschlossener Buchhändlerausbildung eine Zeit lang in London und veröffentlicht seit Mitte der 1970er Jahre Gedichte und Prosa in Kunstbüchern und Zeitschriften. 1981 erschien sein erster Gedichtband mit dem Titel SO BEGINNEN AM KÖRPER DIE TAGE. In WEMUT (1989) kündigte er an, keine eigenständigen Gedichtbände mehr zu veröffentlichen, und widmete sich daraufhin verstärkt essayistischen, prosaischen und dramatischen Arbeiten. Sein Thesenwerk ÜBER DEN UNWERT DES GEDICHTS setzte sich dezidiert mit dem Rückzug aus dem Literaturbetrieb und der gegenwärtigen Verfassung deutscher Literatur auseinander und wurde zu einem der zentralen metapoetischen Texte der jüngeren Zeit. Mit dem Buch ENDOGENE GEDICHTE erschien im Jahr 2000 wieder ein eigenständiger Lyrikband, inklusive «Nachwort anstelle eines Nachworts», in dem Falkner seine frühere Entscheidung des Rückzugs revidierte.
Mit dem neuen Gedichtband IGNATIEN, einer Sammlung von 20 ELEGIEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS, setzt der Spycher-Preisträger nun einen weiteren Markstein. Als «Minnesänger der Moderne» (Kurt Drawert) übertritt er die Borderline aller lyrischen Konventionen und schreitet tief hinein in die Innenräume des Ich. Falkners Gedichtzyklus kreist um das Sein des Menschen im 21. Jahrhundert und darum, wie sich dieses Sein im Bewusstsein und in der Sprache widerspiegelt beziehungsweise bricht. Begleitet werden Falkners neue Gedichte von den Bildern Yves Netzhammers mit surrealen Bildwelten und emotionaler Intimität. In ihrem selbstverständlichen Gegenüber bilden Falkners Gedichte und Netzhammers Bilder eine dialektische Partitur, einen gewaltigen Chor aus poetischen und visuellen Energien.
Siehe auch PERGAMON POEMS, DER LETZTE TAG DER REPUBLIK, STADTPLAN, IGNATIEN – Kurzfilme präsentiert von Gerhard Falkner und Yves Netzhammer
IGNATIEN. ELEGIEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS. Zusammen mit Yves Netzhammer. starfruit publications 2014
PERGAMON POEMS. Aus dem Englischen von Mark Anderson. Verlag kookbooks 2012
BRUNO. Eine Novelle. Berlin Verlag 2008
Jérôme Ferrari
Jérôme Ferrari wurde in Paris geboren, hat in seinem vierten auf Deutsch erschienenen Roman DAS PRINZIP den deutschen Atomphysiker Werner Heisenberg ins Zentrum gestellt, der die Theorie der Unschärferelation formulierte und damit die Gesetze der klassischen Physik ebenso aus den Angeln hob wie das über Jahrhunderte wissenschaftlich geschärfte Weltbild. Und wie es Ferrari bereits in PREDIGT AUF DEN UNTERGANG ROMS gelungen ist, das Klischee des Kneipenromans zu vermeiden, gelingt es ihm auch in seinem jüngsten Roman, keine Romanbiografie zu schreiben, «sondern eine minutiös dokumentierte und doch literarisch ganz freie Darstellung eines deutschen Gelehrtenschicksals, die wie in einem Teilchenbeschleuniger die wissenschaftlichen, politischen, philosophischen, existenziellen Leuchtspuren aufblitzen lässt», wie ihm die «Süddeutsche Zeitung» attestiert.
Als die «taz» ihn fragt, was für ihn den Reiz an Heisenbergs sehr deutscher Biografie ausmache, antwortet Jérôme Ferrari: «Sich als Franzose damit zu befassen, ein Schicksal zu beschreiben, das ein sehr deutsches Schicksal ist, schafft Legitimationsprobleme. [...] Heisenbergs Schicksal hat mich interessiert, weil es ein moralisches Problem verkörpert, das mir quasi unauflösbar scheint. Es gibt nicht einfach die Wahl zwischen Verurteilung oder Absolution, man muss eine Bemessung vornehmen. Es gibt Schicksale, die sind klar heroisch, und es gibt eindeutig unheilvolle Schicksale. Und dann gibt es ein Dazwischen, den Kern der menschlichen Erfahrung, der weder das eine noch das andere ist und den man in seiner Komplexität erfassen muss. In diesem Dazwischen liegt die tragische Last der Geschichte.»
DAS PRINZIP. (Frz. Le Principe) Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Paul Sourzac. Secession Verlag 2015
BALCO ATLANTICO. Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Paul Sourzac. Secession Verlag 2013
PREDIGT AUF DEN UNTERGANG ROMS. (Frz. Le sermon sur la chute de Rome) Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag 2013
JÉRÔME FERRARI musste seine Teilnahme am Literaturfestival leider absagen.
David Grossman
David Grossman, in Jerusalem geboren, studierte Philosophie und Theater. Er arbeitete lange als Radio-Korrespondent und -Moderator, wurde 1988 aber entlassen, weil er sich weigerte zu verschweigen, dass die Palästinenserführung einen eigenen Staat ausgerufen hatte. Grossman gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur und äussert sich immer wieder kritisch zum Nahostkonflikt. Für sein Friedensengagement wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in mehr als dreissig Sprachen übersetzt. In seinen beiden letzten Romanen AUS DER ZEIT FALLEN und EINE FRAU FLIEHT VOR EINER NACHRICHT setzt er sich mit dem Tod eines seiner Söhne im Kriegseinsatz im Libanon 2006 auseinander.
Sieben Jahre später spricht David Grossman in der «FAZ» erstmals über den Umgang mit der Trauer: «Die Möglichkeit, mich zu bewegen, nicht nur physisch, sondern auch geistig, mental, in der Phantasie, das ist für mich überlebenswichtig geworden. Ich habe gemerkt, wie sehr es mich beschädigen würde, wenn ich der Tragödie erlauben würde, mich zu versteinern. In der Bewegung, selbst wenn sie sinnlos ist, weil man nur im Kreis geht, beginnt irgendwann etwas Neues in dir zu wachsen.»
David Grossman bietet Auswege aus der gesellschaftlichen Situation zwischen Krieg und Frieden. Er versucht immer auch die andere Seite zu verstehen, und er zeigt, dass Literatur und Sprache einen wichtigen Beitrag leisten können zur Verständigung und zur Erweiterung des Horizonts. Er warnt: «Wenn es keine Worte mehr gibt, kommen die Klischees.»
Die «FAZ» fasst zusammen: «David Grossmans Bücher gehören zu den grossen Lektüren unserer Zeit. [...] Es sind Werke, an denen man als Mensch wächst. [...] Die Welt berühren: Der israelische Schriftsteller überwindet in seinem Werk alle Grenzen.»
AUS DER ZEIT FALLEN. Roman. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Hanser Verlag 2013
EINE FRAU FLIEHT VOR EINER NACHRICHT. Roman. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Hanser Verlag 2009
DIE KRAFT ZUR KORREKTUR. Über Politik und Literatur. Aus dem Hebräischen von Vera Loos, Naomi Nir-Bleimling. Hanser Verlag2008
Sandra Gugic
Sandra Gugic ist in Wien geboren und lebt heute als freie Autorin in Berlin und Wien. Sie studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
In ihrem ersten Roman ASTRONAUTEN erzählt sie in schnellem Wechsel die Geschichten von jungen Menschen. Alles dreht sich um das Leben in der Grossstadt, durchwachte Nächte und bleierne Tage, den Rausch und den Kater, den harten Alltag, Einsamkeit, Sex und Mitleid. Der Roman ist alles andere als schnell konsumierbare Grossstadtprosa: Mit sicherer Hand arrangiert Sandra Gugic die knapp 200 Seiten ihres Textes in «Short-Cuts»-Manier zu bisweilen thrillerhaft spannenden, schlaglichtartigen Szenen, die immer gerade so viel verraten, dass es für die Fortführung der Handlung ausreicht.
Sie verdichtet die Handlung ihres Romans zu einem engmaschigen Netz, indem sie alle ihre Figuren wie zufällig aufeinandertreffen lässt: So vereinzelt diese Protagonisten auch scheinen, so eng sind ihre Geschichten doch miteinander verknüpft. Die Figuren des Romans sind irgendwie in die Wirklichkeit hineingeraten, nachdem der ursprüngliche Plan, ein sorgenfreies Leben zu führen, nicht aufgegangen ist. Oft ist klägliches Scheitern das einzige zur Verfügung stehende Mittel, um voranzukommen.
Sandra Gugic weiss sich die richtigen Begegnungen und Eindrücke für ihren Roman zu borgen und erschafft damit viel Authentizität. Besonders Sprache als Ausdruck von Identität zu vermitteln ist ihr gelungen. «Sprache ist notwendig, um sich gegeneinander oder gegen die Welt zu behaupten, wird aber auch als Mittel zur Ausgrenzung eingesetzt, als Signal für Gewalt. Nichts erzeugt mehr Missverständnisse und Katastrophen als Kommunikation», so Gugic . Deshalb scheitern auch die Astronauten immer wieder daran, miteinander zu kommunizieren; doch sie geben nicht auf.
ASTRONAUTEN. Roman. Beck Verlag 2015
Fawwaz Haddad
Fawwaz Haddad ist in Damaskus geboren. Er studierte Jura und arbeitete als Apotheker und Kaufmann. Seit 1988 schreibt er ausschliesslich. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren Syriens, ein Aussenseiter, der nie mit Assads Regime paktierte. Von seinen zehn Romanen wurden zwei für den arabischen Booker-Preis nominiert.
GOTTES BLUTIGER HIMMEL (2010), sein jüngster in Beirut erschienener Roman, ist das erste Werk Haddads, das ins Deutsche übertragen wurde.
Haddad erwähnt nicht nur das amerikanische Foltergefängnis von Abu Ghraib, sondern schickt seinen Erzähler auch in die Folterkammern Al Qaidas, in jenen «menschlichen Schlachthof», der dem Kommando Saners untersteht, einem charismatischen jungen Mann, der feinfühlig und brutal, sanftmütig und mitleidlos, intelligent und blindwütig zugleich ist: ein hartes Herz, in dem viele Tränen wohnen. Saners ideologischer Widerpart ist der amerikanische Offizier Miller, auch er ein verblendeter Idealist, der nicht erkennen will, dass der amerikanische Einsatz im Irak keineswegs allein der Befreiung des irakischen Volkes dient, und der sich schliesslich umbringt, ein einsamer Märtyrer für die aussichtslose Sache der Gerechtigkeit. Ein weiterer der «Soldaten Gottes», von denen der Originaltitel des Romans GOD’S SOLDIERS spricht, ist der amerikanische Feldgeistliche Reverend Barcley, ein rassistischer Fundamentalist, der alle Iraker als Tiere betrachtet, von denen die christliche Welt befreit werden müsse.
Im Gespräch mit der Kritikerin Angela Schader hat Haddad erklärt, dass er den Roman als «demokratische Kunstform» verstehe. Deshalb gebe er jeder seiner Figuren – sei es ein fundamentalistischer amerikanischer Feldprediger oder ein islamistischer Gotteskrieger – die Möglichkeit, ihre Position darzulegen.
GOTTES BLUTIGER HIMMEL. Roman. Aus dem Syrischen von Günther Orth. Aufbau Verlag 2013
Nino Haratischwili
Nino Haratischwili ist in Tiflis, Georgien, geboren. Nach einem Studium der Filmregie an der staatlichen Schule für Film und Theater in Tiflis studierte sie von 2003 bis 2007 Theaterregie an der Theaterakademie in Hamburg. Als Regisseurin hat sie zahlreiche Uraufführungen auf die Bühne gebracht, unter anderem am Deutschen Theater Göttingen, auf Kampnagel Hamburg und am Thalia Theater. Ihre dramatischen Texte wurden mehrfach ausgezeichnet.
Im letzten Jahr erschien Nino Haratischwilis dritter Roman DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA), der bei den Feuilletons und der Leserschaft gleichermassen auf Begeisterung stiess, trotz seines Umfangs von fast 1’300 Seiten.
DAS ACHTE LEBEN ist eine Geschichte, die von den Politikern der Gegenwart komplett verweigert wird – eine Geschichte von Solidarität, ein ebenso selbstkritischer wie selbstbewusster Roman der europäischen Ideen, der vom Besten und Schlimmsten in der Geschichte Europas weiss und daraus Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft zieht, der die Menschen für die Idee Europas begeistert, die Antworten geben kann auf Fragen zum Umgang mit Flüchtlingen an den Aussengrenzen oder zu gewaltsamen Interventionen an den Aussengrenzen. Ein Roman aus zersplitterten Erfahrungen für eine gemeinschaftliche Idee, eine Erzählung von den Rändern Europas für das Zentrum. Für alle.
Die «FAZ» schreibt: «Dieser Roman ist ein Geschenk an uns aus den Widersprüchen und der Grösse des Ostens, der uns näher gerückt ist, als wir wahrhaben wollen. Jeder neue Mensch, der diese Welt betritt, trägt eine grössere Last an Vorgeschichten mit sich herum als die Vorgängergeneration. Eine Last oder ein Geschenk. Weisheiten, Grausamkeiten, Träume, Todesarten, Erleben, Staunen, Abstumpfen. Der Berg von Geschichten, auf dem wir geboren werden, wird immer höher. Wir kommen immer älter auf die Welt.»
DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA). Roman, Frankfurter Verlagsanstalt 2014
MEIN SANFTER ZWILLING. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt 2011
JUJA. Roman. Verbrecher-Verlag 2010
Judith Hermann
Nach drei Erzählbänden hat Judith Hermann, die bereits zum dritten Mal am Literaturfestival Leukerbad zu Gast ist, nun ihren ersten Roman geschrieben: ALLER LIEBE ANFANG, ein Buch über die Zumutungen der Liebe und die Schutzlosigkeit im Leben.
Stella und Jason sind verheiratet und haben eine Tochter, Ava. Sie leben in einem Haus am Rand der Stadt, ein schönes, einfaches Haus, ein kleiner Garten, ein alltägliches, ruhiges Leben – meist ohne Jason, der viel arbeitet. Aber eines Tages steht ein Mann vor der Tür dieses Hauses: ein Fremder, jemand, den Stella nie zuvor gesehen hat. Er sagt, er wolle sich einfach einmal mit ihr unterhalten, mehr sagt er nicht. Stella lehnt das ab. Der Fremde geht und kommt am nächsten Tag wieder; er kommt auch am Tag darauf wieder, er wird sie nicht mehr in Ruhe lassen. Was hier beginnt, ist ein Albtraum, der langsam, aber unbeirrbar eskaliert.
In einer klaren, schonungslosen Sprache erzählt Judith Hermann vom Rätsel des Anfangs und Fortgangs der Liebe, vom Einsturz eines sicher geglaubten Lebens. Mit kühner Hand und nüchterner Emphase hat Judith Hermann dieses Protokoll des zerstörerischen Eros aufgezeichnet.
Hermanns grösste Stärke ist aber nicht die Psychologie, sondern ihre Kunst, die Figur aus der Sprache entstehen zu lassen. Sie sagt nicht, wie Stella ist, sondern lässt es uns selbst entdecken, indem wir Stella erschaffen. Dadurch werden wir zum Mitakteur des Romans. Martin Ebel schreibt im Tages-Anzeiger dazu: «Das eigentliche Abenteuer, das wusste jeder grosse Schriftsteller, muss in der Sprache stattfinden. Hier ist es der Fall. Und widerlegt all jene, die ihre Welt blutleer und blass finden.»
ALLER LIEBE ANFANG. Roman. S. Fischer Verlag 2014
ALICE. Erzählungen. S. Fischer Verlag 2009
NICHTS ALS GESPENSTER. Erzählungen. S. Fischer Verlag 2003
Thomas Hettche
Thomas Hettche wuchs in einem Dorf in Hessen auf, wo die Familie seit Generationen als Bauern und Handwerker ansässig ist. Hettches Mutter kam im Zuge der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei 1947 nach Hessen: ein Thema, mit dem er sich in einem autobiografischen Text seines Essaybandes TOTENBERG auseinandergesetzt hat.
Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit verfasst Hettche auch essayistische Arbeiten, vor allem für die «FAZ» und die «NZZ». Thomas Hettche ist Mitbegründer des Spycher-Preises und bis heute Präsident der Jury. Sein neuster Roman heisst PFAUENINSEL, spielt auf ebendiesem verwunschen-bizarren Eiland in der Havel zwischen Berlin und Potsdam. Es ist die Liebesgeschichte einer Zwergin namens Marie, die als Waise im Alter von sechs Jahren samt ihrem Zwergbruder Christian auf die Insel kommt, mit Gustav, dem Neffen des Hofgärtners, der mit ihr aufwächst, sie immer schon liebt, von ihr geliebt wird, aber nicht mit ihr zusammen sein kann, weil ihre Kleinheit, ihre krummen Beine, die platte Nase, der dicke Steiss, die hohe Stirn sie nach und nach zu einer anderen machen, einer Fremden aus einer anderen Welt, die auch über die Liebe nicht mehr integrierbar ist in das Gefühlsleben des vernünftigen, erfolgreichen Mannes und nicht integrierbar ins immer vernünftiger werdende Zeitalter selbst, das beginnende Maschinenzeitalter.
Historische Romane haben ihre Tücken. Die meisten sind zu dumm und biegen die Historie dem Romanpersonal an. Aber Thomas Hettche ist es gelungen, mit dem historisch verbürgten Personal seine Geschichte in das Heute zu transportieren und uns einen atmosphärischen, detailgetreuen wunderbaren Roman voller Sinnlichkeit zu schreiben. Wie es dazu treffend im Roman heisst: «Wir sagen: Die Zeit vergeht. Dabei sind wir es, die verschwinden.»
PFAUENINSEL. Kiepenheuer & Witsch 2014
TOTENBERG. Essays, Kiepenheuer & Witsch 2012
DIE LIEBE DER VÄTER. Kiepenheuer & Witsch 2010
Thomas Hürlimann
Thomas Hürlimann wurde in Zug geboren. Ein Philosophiestudium brach er ab, arbeitete als Regieassistent am Theater und dann als freier Schriftsteller von Prosa, Theaterstücken und Drehbüchern. Hürlimann unterrichtete am Dartmouth College in New Hampshire und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er lebt in Berlin und der Schweiz.
Sein erzählerisches Werk beschäftigt sich mit dem Schweizer Bürgertum des 20. Jahrhunderts und ist laut der «FAZ» «zugleich eine Parabel über gesellschaftliche Anpassung und individuelle Verweigerung». Die Novelle FRÄULEIN STARK und der Roman DER GROSSE KATER wurden teils als Schlüsselromane aufgefasst, Thomas Hürlimann musste sich den öffentlich geführten Diskussionen stellen. Vor allem sein Onkel sah sich und seine Haushälterin allzu genau getroffen. Hürlimann selbst sagt heute dazu: «Als Schriftsteller hat man keine andere Chance. Man erzählt von dem, was man kennt, es ist das Material, aus dem man auch träumt. Natürlich wird dabei etwas Privates öffentlich – aber es handelt sich um eine gestaltete Welt. Der Roman entfernt sich weit von dem, was wirklich war.»
Typisch für seine Art des Schreibens ist die scheinbare Beiläufigkeit, mit der er Spannung aufbaut, und der plaudernde, oft augenzwinkernde Tonfall – selbst wenn er über Todtrauriges schreibt, entlockt Thomas Hürlimann uns ein Lächeln. Und mit dem Tod hat er seine Erfahrung gemacht: Seine Krebserkrankung verarbeitete er in der «Zeit» zu einer durch und durch vergnüglich zu lesenden und dabei nicht minder treffenden «Story meiner Auferweckung».
2000 und 2007 schrieb er das Einsiedler Welttheater nach Pedro Calderón de la Barca und kehrte damit an den Ort zurück, wo er seine Gymnasialzeit im katholischen Kloster verbracht hat.
DÄMMERSCHOPPEN. Geschichten aus 30 Jahren. Ammann 2009
DER SPRUNG IN DEN PAPIERKORB. Geschichten, Gedanken und Notizen am Rand. Ammann 2008
VIERZIG ROSEN. Roman. Ammann 2006.
Pierre Imhasly
2014 wurde Pierre Imhasly 75 Jahre alt. Der grosse Poet und Sänger der Rhone ist in Visp geboren und studierte deutsche und französische Literatur in Fribourg und Zürich. Anschliessend hielt er sich für längere Zeit in Italien und Spanien auf.
Pierre Imhasly gilt als herausragender Übersetzer der Walliser Dichter Maurice Chappaz und Marie Métraillier sowie der Schweizer Autoren Anne Cueno, Michel Goeldlin und André Imer. Das Kernstück seines eigenen Schreibens ist aber die RHONE SAGA, an der er mehr als zehn Jahre gearbeitet hat und mit der er bekannt geworden ist. In diesem grossangelegten Kaleidoskop beschreibt Pierre Imhasly Land und Leute an der Rhone, von der Quelle in der Walliser Bergwelt bis hin zur Mündung in Frankreich. Recherchen zu diesem Werk und die Liebe führten ihn nach Nîmes, wo er heute, neben Visp, lebt und arbeitet.
Diese beiden Welten, der Berg im Wallis und das mediterrane Land im Süden, prägen das ganze Werk von Imhasly. Seine Sprache nimmt sich aus jedem Sprachraum den treffenden Ausdruck. Entstanden sind dabei Texte, die auch an Kompositionen erinnern. Es gibt in der Schweiz kaum einen wortsüchtigeren Dichter als den Walliser Pierre Imhasly und keinen kompromissloseren. Wie Ramuz oder Maurice Chappaz bindet auch Imhasly das Wallis ans Mittelmeer an. Er macht die Rhone zum entgrenzenden Sprachfluss.
Oder wie Philippe Imwinkelried beim Fest zum 75. Geburtstag Pierre Imhaslys sagte: «Über manche Schriftsteller sagt man ja, sie seien grosse Erzähler. Über Pierre sagt man, er sei ein wortgewaltiger, ein sprachgewaltiger Dichter. Einer, der im Steinbruch der Poesie zu Hause ist und mit Sprache zaubert, wie kein anderer deutscher Zunge. Ich glaube, im Tiefsten ist Pierre ein grosser Erzähler, ein fühlendes Archiv, einer, der durch Räume und Sprachen, durch Zeiten und Texte gleitet ...»
REQUIEM D’AMOUR. Stroemfeld Verlag 2014
MAITHUNA/MATTERHORN: BERG DER WELT. Liebesakt transzendierend. Stroemfeld Verlag 2005
PARAISO SI. Ein Poem. Stroemfeld Verlag 2000
RHONE SAGA. Stroemfeld Verlag 1996
Meena Kandasamy
Meena Kandasamy, geboren in Tamil Nadu, als Tochter zweier Universiätsprofessoren, ist promovierte Sprachwissenschaftlerin, Übersetzerin und debütierte in einem Spielfilm. Sie lebt in Chennai, Indien.
In ihrem Schreiben setzt sie sich mit dem indischen Kastensystem, Feminismus und sprachlicher Identität auseinander und setzt sich damit starken Anfeindungen aus. Sie scheut sich nicht, die dunkelsten Themen der indischen Gesellschaft anzuschneiden; in ihren Gedichten thematisiert sie sexuelle Gewalt, die Unfreiheit vieler Frauen und die auch heute noch weitreichenden Folgen des Kastensystems.
«The Dalit» – «Die Unberührbaren» heisst die Zeitschrift, die Meena Kandasamy herausgibt. Dalit ist die Kaste der Unberührbaren, aus der sie auch selbst stammt. Bereits mit 17 verfasste Meena Kandasamy erste Gedichte, in der Zwischenzeit sind zwei Gedichtbände von ihr erschienen, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
Meena Kandasamys Sprache ist explizit und hart, und dabei immer einfühlsam und voller ironischem Witz, oder wie es Claudia Kramatschek im SWR 2 formulierte: «Herrlich bissig und doch mit grosser Lakonie schreibt sie an gegen die Tabuthemen der indischen Gesellschaft.»
Der im letzten Jahr auf Deutsch erschienene zweisprachige Gedichtband FRÄULEIN MILITANZ ist eine Zusammenstellung aus MS MILITANCY (2010) und TOUCH (2006). Raphael Urweider übernahm die Übersetzung ins Deutsche und hat die kräftig-zarte Stimmer Meena Kandasamys treffend wiedergegeben: «Es wird kein Blut auf unseren Ehebetten geben. / Ihr werdet uns nicht als Gattinnen wählen. / Wir sind nicht die, die ihr zu lebenslänglich verurteilen könnt.» (Aus dem Gedicht «Backstreet Girls».)
Im letzten Jahr erschien mit THE GYPSY GODDESS Meena Kandasamys erster Roman, der von der Kritik sehr positiv besprochen wurde. Eine Veröffentlichung auf Deutsch ist in Planung.
FRÄULEIN MILITANZ. (Engl. Ms Militancy) Gedichte aus MS MILITANCY und TOUCH. Herausgegeben von Joachim Sartorius, Hans Thill, Ernest Wichner. Aus dem Englischen von Raphael Urweider. Wunderhorn 2014
Veröffentlichungen auf Englisch:
THE GYPSY GODDESS. Novel. Atlantic Books 2014
TOUCH. Poems. Peacock Books 2006
Thomas Kapielski
Der studierte Geograph und Philosoph kommt aus dem Milieu der Berliner Dilettantenszene. Er machte die DIA-Abende zur Mitteilungsform, schrieb und fotografierte vor sich hin. Figuren erfinden musste er nicht, er hatte ja sich und seine Umgebung. AQUA BOTULUS (1992) mit seinen grossartigen Fotos deutscher Selbstverzierungen (Blumenbeete in Autoreifen, Balkonanbauten, Brot-Shop-Bilder und die schönsten Neonleuchten) oder SOZIALMANIERISMUS (2001) waren auch Sachbücher. In GOTTESBEWEISE I–XII schreibt er von der Frömmigkeit des täglichen Wunders (Lottogewinne, Busenwunder, Rettung vor der finnischen Mückenplage). Kapielski ethnographisiert sich und seine Umwelt dort, wo sie sich gehen lässt, in ihren Vorgärten.
Jetzt ist sein neustes Buch, JE DICKENS, DESTOJEWSKI!, erschienen: Darin erfindet Thomas Kapielski ein neues Genre, den «Volumenroman». Dieser hat tatsächlich ein Volumen, wie man es von Dostojewski kennt: 455 Seiten ist er lang, plus eine zweiseitige «Mannschaftsaufstellung» zum Schluss, «dergestalt, wie es sich auch für voluminöse russische Romane bewährt hat», so Kapielski im Prolog seines Romans.
Sein Roman hat schon so etwas wie eine fortlaufende Handlung; eine, in deren Zentrum die Liebe und der Tod stehen. Doch ist diese Handlung so aufregend nicht, mehr Trickserei und nur dazu da, den Gepflogenheiten eines Romans ansatzweise nachzukommen. Die Interventionen des Protagonisten sollen ja wirken und den Roman schön altmodisch dekonstruieren. Vor allem aber sollen die Stammtischgespräche über Gott und die Welt ihren Raum bekommen, ihren Platz an der Sonne: die Kommentare zum Zeitgeschehen, die philosophischen und theologischen Erörterungen, die Sprachspielereien, die Aphorismen, die knurrig-kalauernden, unorthodoxen Witzeleien.
JE DICKENS, DESTOJEWSKI! Roman. Suhrkamp Verlag 2014
NEUE SEZESSIONISTISCHE HEIZKÖRPERVERKLEIDUNGEN. Suhrkamp Verlag 2012
SÄMTLICHE GOTTESBEWEISE. Zweitausendeins 2009
Anne-Marie Kenessey
Anne-Marie Kenessey ist in Zürich, wo sie auch heute lebt und arbeitet, geboren und aufgewachsen. Gedichte von ihr sind seit 2009 in Literaturzeitschriften (darunter «Sprache im technischen Zeitalter», «wespennest», «allmende»), vom Internetportal «Poetenladen» und in zwei Anthologien veröffentlicht worden. Ihr erstes Buch IM FOSSIL VERSTECKT SICH DAS SEEPFERD VOR DIR erschien 2012.
Anne-Marie Kenessey überzeugt mit ihren wortschöpferischen, sprachspielerischen Gedichten, die sich teils experimenteller Sprechweisen bedienen und mit einem grossen Spektrum poetischer Ausdrucksformen hohe künstlerische Form entwickeln.
Sie beruft sich auf eine Traditionslinie, die von Avantgarde-Strömungen wie dem Dadaismus ausgehend über Schwitters bis hin zu Ernst Jandl und Oskar Pastior führt. Beeindrucken kann Anne-Marie Kenessey auch durch ihren Vortrag, mit dem sie vor allem jene Gedichte, die vom Lautmalerischen leben, angemessen zur Geltung bringt. Konzentriert, reif und überaus dicht präsentieren sich die lyrischen Texte ihres Erstlingsbandes. Man könnte die Gedichte als naturhaft bezeichnen, als naturnah, eng mit vegetativen Vorgängen verknüpft. Häufig erzählen die Poeme von Begebenheiten mit und auf dem Wasser. Dabei werden Pflanzen, Bäume und Tiere – Schmetterlinge, Käfer und Vögel – mit einem sehr präzisen Blick fürs Detail beschrieben.
Für die junge Lyrikerin ist aber auch der Umgang mit der Welt, die Erfahrung des Fremden, Nicht-Alltäglichen wichtig. In die Gedichte mischen sich mitunter kurze Reiseimpressionen, Erfahrungen bei Fahrten ins europäische Ausland. Und auch der Umgang mit der Sprache spielt bei Anne-Marie Kenessey eine grosse Rolle. Neben der deutschen Sprache sind es vor allem das Ungarische, Spanische und Englische, die die Lebens- und Arbeitswelt der Autorin prägen.
IM FOSSIL VERSTECKT SICH DAS SEEPFERD VOR DIR. Gedichte. Edition-Isele Verlag 2012
Urs Mannhart
Urs Mannhart ist im bernischen Rohrbach geboren, hat als Velokurier, Nachtwächter und Journalist gearbeitet und gehört mit Christoph Simon und Lorenz Langenegger zu den Mitgliedern der Literaturgruppe «die Autören». Der Bilgerverlag veröffentlichte 2004 seinen ersten Roman LUCHS und 2006 DIE ANOMALIE DES GEOMAGNETISCHEN FELDES SÜDÖSTLICH VON DOMODOSSOLA.
Mannhart schrieb Reportagen aus Ungarn, Serbien, Kosovo, Rumänien, Russland, Weissrussland und der Ukraine. 2014 erschien sein lange erwarteter dritter Roman BERGSTEIGEN IM FLACHLAND; ein grosser Europa-Roman.
Wegen eines Plagiatsvorwurfs musste der Secession Verlag die Auslieferung dieses Romans auf Geheiss des Handelsgerichts Zürich einstellen. Das Buch darf nicht mehr beworben werden und Urs Mannhart darf daraus nicht mehr in der Öffentlichkeit lesen.
Von den vom Kläger Thomas Brunnsteiner angeführten 114 Textfetzen, die ein Plagiat belegen sollen, hat das Urteil gerade einmal sechs berücksichtigt, wobei es sich in keinem einzigen Fall um einen vollständigen Satz handelt. So erkannte der Richter etwa in dem Satz «Das Kaspische Meer ist so gross wie Deutschland» eines der sechs Beispiele für ein Plagiat, weil Brunnsteiner in einer Reportage geschrieben hatte: «Das Kaspische Meer mag so gross sein wie Deutschland.»
Wir bedauern, dass den Leserinnen und Lesern dieser hochgelobte und politisch wie literarisch wichtige Europa-Roman des Schweizer Autors damit vorerst nicht mehr zugänglich ist. Wir sind aber zuversichtlich, dass diese Anordnung spätestens nach dem Hauptverfahren wegen des Plagiatvorwurfs wieder aufgehoben und Urs Mannhart vollständig rehabilitiert wird.
Urs Mannhart wird in Leukerbad frühe und neuere Arbeiten lesen.
DIE ANOMALIE DES GEOMAGNETISCHEN FELDES SÜDÖSTLICH VON DOMODOSSOLA. Roman. Bilgerverlag 2006
LUCHS. Roman. Bilgerverlag 2004
Julien Maret
Julien Maret wurde in Fully im Kanton Wallis geboren. Nach einem Philosophiestudium besuchte er das Schweizerische Literaturinstitut in Biel. Er hat die Literaturzeitschrift «Coma» gegründet und sich auch bei anderen Literaturzeitschriften engagiert.
In seinem Debut TIRADE (frz. Rengaine) spricht ein Ich ohne Vergangenheit, das von einem Du verlassen wurde. Julien Maret fängt schreibend beim Schreiben an, er folgt dem Ich in seinem «stream of consiousness». Von Ferne grüssen, abgrundtief traurig und zum Totlachen, Lewis Carrolls Alice und Samuel Becketts Namenloser.
Die «NZZ» führt aus: «TIRADE ist buchstäblich eine Fallstudie, bald reflexiv, bald expressiv, einmal introvertiert, einmal extrovertiert. Die Unnachgiebigkeit wiederum, mit der Maret sie führt, gibt ihr fast schon etwas Cartesianisches: Das Ich wird fallen gelassen, um sich seiner zu versichern.»
In Christoph Roeber hat TIRADE einen kongenialen Übersetzer gefunden.
Am Literaturfestival Leukerbad werden Julien Maret und sein Übersetzer Christoph Roeber TIRADE vorstellen. Camille Luscher wird die Lesung und das Gespräch moderieren.
CHRISTOPH ROEBER hat von 2004 bis 2011 an den Universitäten Leipzig, Trento und Rennes Romanistik (Französisch/Italienisch) mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft studiert. 2012 hat er am Goldschmidt-Programm für junge Literaturübersetzer teilgenommen und studiert seitdem Schreiben / Übersetzen im transdisziplinären Master Contemporary Arts Practice an der Hochschule der Künste Bern. Seine Übersetzung von TIRADE wurde ebenso ausgezeichnet wie seine zweite Übersetzung GRABREDE AUF EINEN IDIOTEN von Julie Mazzieri.
In Zusammenarbeit mit dem CTL – Centre de Traduction Littéraire Université
de Lausanne.
TIRADE. (Frz. Rengaine) Roman. Aus dem Französischen von Christoph Roeber. Diaphanes 2013
Shahin Najafi
Shahin Najafi ist in Bandar Anzali (Iran) geboren, studierte Soziologie und wirkte als Musiker und Dichter im Iran. In seinen Liedern prangert er die gesellschaftlichen Probleme und Tabus im Iran an und unterstützt Menschenrechtsinitiativen.
Er entdeckte früh seine Leidenschaft für die Musik und gab kleinere Konzerte im Iran. 2004 drohten ihm wegen eines seiner Lieder eine dreijährige Haftstrafe und 100 Peitschenhiebe. Daraufhin verliess er seine Heimat und floh nach Deutschland. Am 8. Mai 2012 sprach der iranische Grossayatollah Lotfollah Safi Golpaygani eine Fatwa gegen den Musiker aus, ausserdem wurden 100’000 Dollar Kopfgeld auf Najafi ausgesetzt – einen Tag nachdem sein Rapsong «Naghi» im Internet veröffentlicht wurde. In diesem Lied flehte Najafi den zehnten schiitischen Imam Naghi an, sich der gesellschaftlichen und politischen Missstände im Iran anzunehmen. Najafi fand Unterschlupf bei Günther Wallraff und tauchte zunächst einige Monate unter. Seit letztem Jahr ist Najafi wieder auf der Bühne zu sehen und lebt anonym in Deutschland.
Das Buch WENN GOTT SCHLÄFT enthält eine Auswahl seiner wichtigsten Songtexte und seiner Gedichte, erstmals übersetzt ins Deutsche, sowie autobiographische Texte über seine Jugend im Iran und sein politisches Selbstverständnis. Darin kann man Najafis Weg vom frommen Koranrezitator zum Rapper und Regimekritiker und seine Auseinandersetzung mit der Religion und sein Leben im deutschen Exil nachvollziehen. Ergänzt durch ein informatives Vorwort des Grünen-Abgeordneten und Iran-Experten Omid Nouripour, gewährt dieses Buch einen tiefen Einblick in das Innere der heutigen iranischen Gesellschaft: ein wichtiges Dokument eines mutigen politischen Kampfes für Freiheit und Gerechtigkeit.
WENN GOTT SCHLÄFT. Mein Leben, mein Land, der Iran, meine Songs und Gedichte. Kiepenheuer & Witsch 2013
SHAHIN NAJAFI musste ihre Teilnahme am Literaturfestival leider absagen.
Katja Oskamp
Katja Oskamp wurde in Leipzig geboren, studierte Theaterwissenschaften und war Dramaturgin am Volkstheater Rostock. Sie ist Absolventin des Leipziger Literaturinstituts und lebt in Berlin.
Ihr Romandebüt DIE STAUBFÄNGERIN wurde von der Kritik ebenso begeistert aufgenommen wie ihr Erzählband HALBSCHWIMMER; die «FAZ» schreibt: «Die Kunstfertigkeit im nur scheinbar unbekümmerten erinnernden Schreiben, die Katja Oskamp schon in den Erzählungen gezeigt hatte, kommt in der dramaturgisch geschickten Komposition des Romans noch besser zur Geltung.»
In HELLERSDORFER PERLE lotet Katja Oskamp lange vor «Fifty Shades of Grey» die Sadomaso-Fantasien ihrer Protagonistin aus. Aus ihrem standesgemässen Berliner Leben bricht die Ich-Erzählerin eines Tages aus, packt ihre Sachen und stellt sich den Fragen von Katja Oskamp: Was wäre, wenn man allem Vertrauten den Rücken zukehrte, einfach so? Wenn man sich auf das Unerhörte einliesse, auf die Lust?
Die «Frankfurter Rundschau» schrieb über die HELLERSDORFER PERLE: «Nachts Sadomaso, tags die Mutti – das ginge auch als Groschenroman durch. Katja Oskamp aber lässt das Verruchte, Unerlaubte kommen wie Tropfen, ohne Eile, gezähmt, scharf sich abhebend vom Leben der Freundin, an der man regelmässig studieren darf, warum diese Ich-Erzählerin sich derart häutet. [...] Katja Oskamp, selbst lange Dramaturgin, schätzt und sieht das Theatralische, die Verwandlung als Akt eines Stückes mit Höhepunkt. Die HELLERSDORFER PERLE bleibt ein pralles, derbes Stück Prosa übers Auskosten und Abschweifen, über Macht, Verachtung und Idealisierung – kurzum: über die seltsamen Regularien der Leidenschaft.»
Am Literaturfestival Leukerbad wird Katja Oskamp neue Texte vorstellen.
HELLERSDORFER PERLE. Roman. Eichborn 2010
DIE STAUBFÄNGERIN. Roman. Ammann 2007
HALBSCHWIMMER. Erzählungen. Ammann 2003 und Berlin Verlag Taschenbuch 2005
Rosa Pock
Rosa Pock, geboren in Wagna in der Südsteiermark, studierte Philosophie in Salzburg, war seit 1972 mit H.C. Artmann verheiratet, der 2000 starb, und lebt heute in Wien.
Wie lässt sich schreiben über die Schwierigkeit zu sein, ohne den Tonfall – ob leicht oder schwierig – zu verfehlen, der die eigene Erfahrung mit Sprache und Wirklichkeit wiedergibt? Rosa Pock hat einen Weg gefunden, nicht nur die Grammatik zu relativieren, sondern unsere Vorstellungen von der Hierarchie des Universums. Alles ist gleichzeitig traurig und witzig, einfach und kompliziert, konventionell und überraschend.
Sie ist eine Grenzgängerin der Literatur. Auch in ihrem letzten Buch WIR SIND IDIOTEN hält sie sich nicht an die Regeln des Erzählens, nicht an die «schöne Sprache», die eine «schöne Literatur» generieren soll, nicht an Dekor und an die Techniken, die gemeinhin «Stimmung» erzeugen sollen. Die drei Prosastücke in WIR SIND IDIOTEN sind elementare Zustandsbeschreibungen, auf das Wesentliche reduzierte Lebensverläufe, die das Auf und Ab üblicher Biografien und Schicksalskurven herauskristallisieren. Und wann wäre nicht Krise? Begehren und Liebe und Geld – und natürlich Untreue und Leid und Bankencrash: ein bei aller Wahrhaftigkeit durchaus komischer Monolog über die alltäglichen Schicksalsfragen – verknappt, verdichtet und unverstellt poetisch. Eine Stimme über die Liebe in Zeiten der Krise.
«Der in ausnehmend poetischer, vielschichtiger und künstlerisch verfremdeter Erzählsprache ausgeformte Monolog einer Frau über ihre Gefühle für den beziehungsweise mit dem geliebten Mann; Befindlichkeiten der Bezogenheit, eingebettet in scharfsichtige Beobachtungen der Gesellschaft, des Kapitalismus, kurz der Rahmenbedingungen, die jede Beziehung gnadenlos mitbestimmen», schreibt Helga Pankratz darüber.
EIN GEDICHT. Edition Tannhäuser 2015
WIR SIND IDIOTEN. Drei Geschichten. Droschl 2012
EINE KLEINE FAMILIE. Tagebuch eines Schulmädchens. Droschl 2004
Werner Ryser
Werner Ryser lebt in Basel. Er arbeitete in Non-Profit-Organisationen und ist heute Redaktionsleiter der Zeitschrift «Akzent Magazin».
Mit seinem Roman TOTENTANZ IM WALLIS hat er in einem Epos mit urtümlicher Erzählkraft über die Geschichte des Kantons Wallis und der Schweiz geschrieben. Im 16. Jahrhundert war das Wallis Schauplatz im Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Der Roman rollt ein aussergewöhnliches Panorama dieser Zeit der Schrecken und des Grauens aus. Eingeflochten in diese grosse Ereignisgeschichte gibt es noch einen ganz anderen Stoff: das Schicksal der kleinen Leute im Oberwallis. Ein atemberaubendes Drama über Schweizer Geschichte, ein Sittengemälde der Renaissance und ein Epos über Intrige, Macht, Liebe und Überleben.
Mit grosser Empathie zeichnet Werner Ryser die Schauplätze; das Dorf Münster etwa oder die winters tief zugeschneiten und sommers von der Sonne ausgedörrten Landschaften, in die der Leser eintaucht. Es sind die Menschen aus ärmlichsten Verhältnissen, die Ryser kraftvoll und lebensprall mit all ihren Nöten und ihren Gaben porträtiert und formt, die der Leser auf ihren von vielen Schrecken und Mühsalen und seltenen Freuden geprägten Lebenswegen begleitet.
«Ryser zeigt die Menschen hier im ausgehenden Mittelalter an der Schwelle zu einem neuen Selbstverständnis und parallel dazu eine Eidgenossenschaft auf den vielen Irr- und Holzwegen einer schwierigen Selbstfindung. Dass diese Zeit der wachsenden Selbstbestimmung auch ein einzig Hauen und Stechen war, führt der Roman schonungslos in einem wilden Porträt dieser Epoche des Umbruchs vor. Nicht zuletzt an dem kalkulierten und dosierten Appell an unser Sentiment liegt es, dass wir dennoch gebannt lesen. Auch daran ersieht man, wie genau und virtuos Werner Ryser auf der Klaviatur des historischen Romans spielt», urteilt Roman Bucheli in der «NZZ».
WALLISER TOTENTANZ. Roman. Nagel & Kimche 2015
Joachim Sartorius
Joachim Sartorius ist Lyriker, Essayist und Herausgeber der gesammelten Werke von Malcolm Lowry und William Carlos Williams. Er ist Übersetzer unter anderem von John Ashbery, Wallace Stevens und E.E. Cummings und hat den epochalen ATLAS DER NEUEN POESIE herausgegeben. Nachdem er zwei Jahrzehnte im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul, Prag und Zypern verbracht hatte, wurde er Generalsekretär des Goethe-Instituts und leitete die Berliner Festspiele von 2001 bis 2011.
Es gibt kaum einen mächtigeren Vermittler von und in der Lyrik als Joachim Sartorius. Seine Reisen zwischen Kontinenten, Kulturen und Epochen, Begegnungen und Lektüren prägen sein Werk, und er zeigt auf, dass die Lyrik nicht ausschliesslich eine europäische Angelegenheit ist. Neben seiner Lyrik schreibt Joachim Sartorius auch immer wieder Geschichten seiner Aufenthalte, vor allem in den mediterranen Gebieten.
In seinem neuen Band HANDBUCH DER POLITISCHEN POESIE folgt er nicht den formalen, gestalterischen oder ästhetischen Setzungen, sondern dem historischen Ordnungsprinzip der Katastrophen und Aufbrüche im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts – vom armenischen Genozid bis zum Vietnamkrieg, von der Belagerung Sarajewos bis zur grünen Utopie. Er präsentiert über 100 Lyriker und Lyrikerinnen aus 50 Ländern.
Er selbst sagt dazu: «Dieses Handbuch soll zeigen: Es gibt keine Aneignung der Geschichte durch Gedichte. Aber Gedichte kommentieren die Zeitläufe, sie zeigen Entsetzen, sie klagen an oder sie rufen auf, sie können ‹eine Schule für Güte, Sühne, Reue und Vergebung sein› (Herbert Zbigniew). Vor allem zeigen sie das Vertrauen ihrer Schöpfer, dass die Worte langfristig auf das Bewusstsein wirken und am Ende Wirklichkeit stärker modellieren als Geschichtsbücher oder politische Entscheidungen.»
NIEMALS EINE ATEMPAUSE. Handbuch der politischen Poesie im 20. Jahrhundert. Kiepenheuer & Witsch. 2014
MEINE ZYPERN. Mare Verlag 2013
DIE PRINZENINSELN. Mare Verlag 2009
HÔTEL DES ÉTRANGERS. Gedichte. Kiepenheuer & Witsch 2008
Armin Senser
Armin Senser wurde in Biel geboren und studierte Philosophie, Germanistik und Linguistik an der Universität Bern, nachdem er einige Jahre als Architekt gearbeitet hatte. Er lebt seit 1998 als Schriftsteller in Berlin. Neben seiner Arbeit als Lyriker ist Armin Senser auch als Übersetzer, Dramatiker und Essayist tätig.
Seine Gedichte stellen mit hämmernden Rhythmen und harten Reimen trockene Gegenwartsanalysen dar. Sensers Blick auf ein Jahrtausend, das gerade erst begonnen hat, ist voll schneidender Ironie.
Sein lyrisches Schaffen wird hochgelobt; so schreibt die «NZZ», er sei «der aufregendste Lyriker unserer Tage» und in der «Zeit» war zu lesen: «Sensers Gedichte sind geschliffene, auf den Punkt gebrachte Protokolle metaphysischer Reisen und Begegnungen.»
Nach drei preisgekrönten Gedichtbänden nimmt Armin Senser sich 2011 in SHAKESPEARE der Nacherzählung des Lebens des grossen Barden an. Wie die «FAZ» schreibt: «Sein Shakespeare ist ein Mann, der zum Ende eines bewegten Lebens an einem verregneten Novembertag im Gespräch mit der erwachsenen Tochter Rückschau hält und selbstkritisch mit sich ins Gericht geht: ‹Ich habe mich mehr um meine Hirngespinste / gekümmert als um wirkliche Menschen.› [...] Letzte Dinge, grosse Fragen also, stehen hier zur Diskussion. Senser wählt dazu, und dies ist rundweg zu begrüssen, die wunderbare Form des Versromans, die viel zu selten genutzt wird, dabei liegen ihre Vorteile doch auf der Hand: Vom Roman nimmt sie sich die Lizenz zum Auserzählen einer bunten Welt samt ihren Protagonisten, von der Versdichtung die Möglichkeiten zur Verknappung und Verfremdung des Erzählten, auch jenseits realistischer Vorgaben.»
Am Literaturfestival Leukerbad wird Armin Senser auch bisher unveröffentlichte Gedichte lesen.
SHAKESPEARE. Roman in Versen. Hanser 2011
KALTE KRIEGE. Gedichte. Hanser 2007
JAHRHUNDERT DER RUHE. Gedichte. Hanser 2003
Peter Stamm
Peter Stamm ist einer der erfolgreichsten Autoren der Schweizer Gegenwartsliteratur. Seit 1990 arbeitet er als Schriftsteller und freier Journalist. Neben seiner Arbeit als Journalist begann er, Theaterstücke und Hörspiele für Radio SRF, Radio Bremen, den WDR und den Südwest Rundfunk zu schreiben. Der literarische Durchbruch gelang ihm 1998 mit seinem ersten Roman AGNES.
Nun sind seine sämtlichen Erzählungen im Band DER LAUF DER DINGE erschienen, alle bisher veröffentlichten und einige bisher unveröffentlichte Texte. Als Gesamtausgabe der vier früheren Erzählbände bietet DER LAUF DER DINGE Gelegenheit, Peter Stamms Entwicklung als Erzähler nachzuvollziehen.
Er erzählt zurückhaltend und mit grosser Präzision. Mit wenigen Worten errichtet er Welten: In klaren Sätzen und bewegenden Bildern entfalten sich Augenblicke grösster Intensität; Momentaufnahmen eines Glücks entstehen oder die Sehnsucht nach Veränderung. Seine Figuren erleben Enttäuschungen und Wunder. Die Leser seiner Erzählungen verstehen mehr: von der Liebe, vom Menschen, vom Leben. Dabei steht in seinem Werk nicht der Inhalt im Mittelpunkt, sondern die Art, wie etwas erzählt wird. Deswegen wählt er keine originellen Inhalte, die von der Qualität des Textes ablenken.
«Mein Ziel ist erreicht, wenn die Leser nicht merken, dass sie ein Buch in der Hand halten, dass sie eine Art Tagtraum haben. Wenn das klappt, dann entsteht der Eindruck, es liest sich leicht», hat Peter Stamm vor drei Jahren in einem NDR-Interview erklärt. Mit den meisten seiner Erzählungen des Bandes kommt er diesem Ziel sehr nahe und «so wird der Dichter der Dunkelheiten und Unwägbarkeiten, der Schilderer schiefer Liebesbeziehungen zu einem bewegenden Deuter heutiger Befindlichkeiten» (Beatrice von Matt).
Peter Stamm ist in diesem Jahr am Übersetzungskolloquium zu Gast.
DER LAUF DER DINGE. Gesammelte Erzählungen. S. Fischer Verlag 2014
DIE VERTREIBUNG AUS DEM PARADIES. Bamberger Vorlesungen und verstreute Texte. S. Fischer Verlag 2014
NACHT IST DER TAG. Roman. S. Fischer Verlag 2013
Heinrich Steinfest
Der Österreicher Heinrich Steinfest wurde in Australien geboren, wuchs aber in Wien auf. Bis Ende der 90er-Jahre lebte er dort als freischaffender Künstler. Heute wohnt er als Maler und Schriftsteller überwiegend in Stuttgart.
Über kaum einen anderen deutschsprachigen Kriminalschriftsteller hat sich die Literaturkritik hierzulande derart überschwänglich und begeistert geäussert wie über Heinrich Steinfest. Der Vielschreiber, der 1999 den einarmigen Detektiv Cheng erfand, wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet. Zweifellos handelt es sich bei dem Wiener Künstler um einen Grenzgänger der Genres, der herkömmliche Unterscheidungen von E- und U-Literatur dank seiner virtuosen Sprachbeherrschung bedenkenlos ad acta legt.
In seinem neuen Roman DAS GRÜNE ROLLO geschieht Merkwürdiges in Theos Schlafzimmer: Plötzlich ist dieses grüne Rollo vor seinem Fenster, dahinter eine fremde Welt. Theo fasst Mut und begibt sich auf die andere Seite ... Der fantastische Fabulierer Heinrich Steinfest ist nach dem gefeierten ALLESFORSCHER wieder da: verrückte Einfälle, wilde Ideen und grosse Erzählung. Steinfest erzählt lustvoll, klug, mitreissend. Er zelebriert das Skurrile, Geheimnisvolle des Alltäglichen.
Zu seiner Schreibweise meint Heinrich Steinfest: «Ich beginne mit einer Ausgangsidee, einem Fundament, ohne das Haus zu kennen, das ich darauf errichten werde. Die Geschichte besitzt stets eine Eigendynamik, sie entwickelt sich. Ähnliches gilt für die Figuren, die nicht selten – auch gegen meinen Willen – im Laufe der Geschichte sich verändern, eine Bedeutung und Rolle übernehmen, die ihnen ursprünglich nicht zugedacht war. Überhaupt wäre zu sagen, dass wenn jemand sich mit meinen Plots und deren ‹Komplexität› schwer tut, er sich eigentlich an meine Figuren zu wenden hätte.»
DAS GRÜNE ROLLO. Roman. Piper 2015
DER ALLESFORSCHER. Roman. Piper 2014
DAS HIMMLISCHE KIND. Roman. Droemer 2012
Krimis:
DIE HAISCHWIMMERIN. Piper 2011
GEWITTER ÜBER PLUTO. Piper 2009
Christian Uetz
Christian Uetz, geboren in Egnach, lebt in Zürich. Nach dem Abschluss des Lehrerseminars studierte er Philosophie, Komparatistik und Altgriechisch.
Der philosophische Poet mit seinen sprachgewaltigen, legendären Performance-Auftritten erzählt in ES PASSIERTE von Damian, einem schweizerischen Don Juan und Theologen. Ein Annäherungsdialog in der Sauna: «Ich bin Theologe, ohne zu praktizieren.» «Wie ist das zu verstehen?» «Ich mache mir Gedanken. Und verdiene mein Geld gelegentlich als Spanischlehrer.»
Damian will alles vom Leben. Er will Sex, er will Erkenntnis, er will Erniedrigung, er will die absolute Freiheit. Er will den Tod. Und der markiert den Anfang. Nur alles ist alles. Aber kann der Mensch alles ertragen? Im Traum sieht Damian, wie seine Leiche aus dem Zürichsee gezogen wird. Das Zeichen für eine Ansteckung mit HIV bei einem One-Night-Stand wenige Tage zuvor, das ist gewiss. Eine geschwollene Wade und Google scheinen das Todesurteil zu bestätigen. Ganz wund von der Reibung zwischen Eros und Thanatos tritt er mit seinen Gewährsmännern Hegel, Nietzsche und Heidegger in die finale Phase seines Kampfes ein: für, mit und gegen Gott.
Christian Uetz mischt Humorvolles mit Philosophischem, beschreibt genau, amüsiert, irritiert und scheut sich vor nichts. Oder wie es das St. Galler Tagblatt formulierte: «Dieser Poet ist ein Mann der Gedanken und der Gefühle. Das bedeutet: nicht kühl, nein, ziemlich heiss.» Sein dritter Roman ist eine Zumutung – im allerbesten Sinne. Sprachlich virtuos, schamlos und blitzgescheit führt er die Leser bis an die Grenzen des Seins und noch darüber hinaus. Was er dort findet, ist so hochkomisch und tieftraurig wie das Leben selbst. Ein poetischer Parforceritt in die Abgründe, Sehnsüchte, Verlorenheit unser Triebe.
ES PASSIERTE. Roman. Secession Verlag 2015
SUNDERWARUMBE. Ein Schweizer Requiem. Roman. Secession Verlag 2012
NUR DU, UND NUR ICH: ROMAN IN SIEBEN SCHRITTEN. Secession Verlag 2011
DAS STERNBILD VERSINGT. Gedichte. Suhrkamp Verlag 2004
Steven Uhly
Steven Uhly ist in Köln geboren und ist deutsch-bengalischer Abstammung. Er studierte Literatur, leitete ein Institut in Brasilien und übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Spanischen, Portugiesischen und Englischen. Sein dritter Roman GLÜCKSKIND wurde zum Bestseller. Michael Verhoeven verfilmte ihn für die ARD.
Sein neuster Roman KÖNIGREICH DER DÄMMERUNG beschäftigt sich mit einem Thema, über das noch kaum geschrieben wurde, nämlich dem Schicksal zehntausender Juden, die 1945 als «displaced persons» von einem Land ins andere verschickt wurden und in bewachten Siedlungen vor dem Mob geschützt werden mussten. Tausende von ihnen zogen in den ersten Monaten nach dem Krieg nahezu vogelfrei durch Europa, verzweifelt gesucht von jüdischen Organisationen, die sie über militärische Zonengrenzen hinweg zu den Hafenstädten und auf die Schiffe nach Palästina schmuggeln wollten, was die britische Besatzungsbehörde mit aller Macht zu verhindern versuchte. Der Krieg, so erfahren wir in zahllosen Episoden, ging noch jahrelang weiter, als er offiziell längst beendet war.
Die Wahrheitssuche dieser Herumirrenden, in der sich die Frage nach Schuld und Erbe spiegelt, führt aus dem Grauen der Vernichtung in den zupackenden Mut einer neuen Generation. Diese Geschichten sind es, die KÖNIGREICH DER DÄMMERUNG zu einem zeitgenössischen historischen Roman über die Kraft des Lebens und der Veränderung machen.
Steven Uhly hat genau recherchiert und ein Kapitel Zeitgeschichte in seinen Roman eingearbeitet, das bei uns weitgehend unbekannt ist. Spannend und mit einer unglaublichen Intensität verwebt er den unbändigen Lebenswillen seiner Romanfiguren mit der jeweils herrschenden Weltpolitik. Feinsinnig entführt Uhly den Leser in die Geschichte und schafft es, einen Sog zu erzeugen, der uns nicht mehr loslässt. Ein grossartiger und wichtiger deutscher Gegenwartsroman.
KÖNIGREICH DER DÄMMERUNG. Secession Verlag 2014
GLÜCKSKIND. Secession Verlag 2012
ADAMS FUGE. Secession Verlag 2011
Serhij Zhadan
Der Träger des Jan Michalski Literaturpreises 2014, Serhij Zhadan, wurde in Starobilsk in der Bergbauregion der Ostukraine geboren und war an den Protesten auf dem zentralen Platz der Bürgerrevolution, dem Majdan, beteiligt. Eines seiner aktuellen Projekte: mit ein paar Freunden die Lenin-Statue in Charkiw absägen. Diese Idee hat in der russischsprachigen Stadt zu lebhaften Auseinandersetzungen geführt, die so weit gingen, dass Serhij Zhadan 2014 bei einer Demonstration durch pro-russische Aktivisten brutal niedergeschlagen und schwer verletzt wurde.
Serhij Zhadan ist kein Spurenleser. Sein literarischer Raum ist das Hier und Jetzt, das pralle Leben. Er erzählt Geschichten von seiner Generation – urban und ohne Nostalgie. Er wird in seiner Heimat als ukrainischer Rimbaud, als proletarischer Postpunk gefeiert. Von der Ungewissheit in Zeiten des äusseren und inneren Umbruchs erzählt er in seinen Lyrikbänden und Prosawerken. Sein erster auf Deutsch erschienener Roman DEPECHE MODE nahm den Leser mit auf eine Tour de Force dreier trinksüchtiger 19-jähriger Aussenseiter durch das Endzeitszenario der Ostukraine im Jahr 1993.
Der literarische Feuerwerker verwandelt in seinem neuen Roman DIE ERFINDUNG DES JAZZ IM DONBASS das Industrierevier Donbass in eine fantastische Landschaft, wo Steppennomaden auf Geisterfahrt gehen und sich die Spur der geheimnisvollen amerikanischen Anarchistin und Jazzkomponistin Gloria Adams verliert. Easy-Rider-Atmosphäre am Rande Europas: Hier wird der Traum von der Freiheit noch einmal ganz anders geträumt – als Suche nach Heimat inmitten der Grenzenlosigkeit.
Der scharfsinnige Blick Serhij Zhadans und sein Talent, die Realität durch die Macht der Sprache zu verzerren, machen aus DIE ERFINDUNG DES JAZZ IM DONBASS ein seltenes Buch, verfasst in einem aussergewöhnlichen Ton und unzweifelhaft notwendig: ein Roman über die Wirren der postsowjetischen Zeit.
DIE ERFINDUNG DES JAZZ IM DONBASS. Roman. Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag 2014
BIG MÄC. Geschichten. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. Suhrkamp Verlag 2011
HYMNE DER DEMOKRATISCHEN JUGEND. Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag 2009
DEPECHE MODE. Roman. Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag 2007
Barbara Lehmann
Als Reporterin in Krisengebieten, Dramaturgin im Theater, Kritikerin oder Moderatorin – Barbara Lehmann scheut nie die Extreme und bewegt sich immer zwischen den Fronten. Sie sass in den Theaterkellern Moskaus und holte von dort experimentelle Theatermacher nach Deutschland, sie arbeitete mit den unterschiedlichsten Regisseuren an den grossen Bühnen in Köln, Stuttgart, am Berliner Schiller-Theater und Castorffs Volksbühne, sie übersetzte provokante Zeitgenossen wie Vladimir Sorokin und Eduard Limonow, aber auch die Stücke Anton Tschechows. Sie tauchte zu Recherchen in Moskaus künstlerischem Underground unter, sie verfolgte die Prozesse der kremlkritischen Oppositionellen, sie reiste für das Feuilleton der «Zeit» bis an die Enden der Welt, die Kurilen und Kamtschatka, sie wagte sich auch immer wieder zu den Brennpunkten in ehemaligen Sowjetrepubliken, wie die Ukraine oder Weissrussland. Viermal war sie in Tschetschenien, hauste in den Ruinen, erlebte später den Wiederaufbau, sprach mit Freiheitskämpfern ebenso wie dem von Putin-eingesetzten skandalumwitterten Präsidenten Ramsan Kadyrow. All das brachte ihr viel Anerkennung, aber auch Kritik ein. Das schreckt
sie nicht.
Jetzt hat sie einen Kaukasusroman geschrieben, dessen Heldin, die Reporterin Doro, ebenso wie ihre Schöpferin, Barbara Lehmann, zwischen den Fronten brennt, verbrennt, um ihren Geliebten, den Freiheitskämpfer Aslan aus der tschetschenischen Gefangenschaft zu retten. Wird es ihr gelingen? In einem fiebrigen Ton geschrieben, passagenweise aber auch voller Humor, Poesie, Erotik, zudem mit intensiven Naturbeschreibungen ausgestattet, entwickelt diese anrührende Liebesgeschichte eine unglaubliche Sogkraft und reisst den Leser mit hinein in die von Kriegen versehrte kaukasische Landschaft: «Herzgrube Tschetschenien, mein Spiegel.» Keine Frage, dass dieser Roman im Angesicht der weltweiten Kriege, von Dschihad, Terror, Vertreibung, brandaktuell ist. «Der Krieg ist in uns», sagt Barbara Lehmann angesichts des aktuellen Flächenbrandes der Gewalt, auch in der Ukraine: «Der Terror rückt von der Peripherie ins Zentrum.» In der Schilderung des Kreuzweges ihrer Helden stellt sie sogleich die Frage, wie jeder Einzelne von uns, die Gewalt mental überwinden.
EINE LIEBE IN ZEITEN DES KRIEGES. Roman. Verlag LangenMüller 2015