ein abend für clarice
von Katharina Faber

Ein Abend für Clarice Lispector – und mit Clarice auf der Leinwand – ist für mich die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Eine Sternstunde.
Seit ich als Studentin die übersetzten Bücher von Clarice Lispector gelesen hatte, kämpfte ich gegen die matte Ignoranz und die Vereinnahmung, mit der man sie in kleinen Zirkeln behielt und einem grossen Publikum entzog, während in Brasilien mit ihrem Vornamen Appartements beworben werden.
Dabei erzählt Clarice Lispector mit einer seltenen Nähe zu allem und zu jedem, von alten Frauen, die sich mit Haut und Haar in den Schlagerstar Roberto Carlos verlieben, von einem Mörder, der sich der Liebe einer Frau verweigert und von ihr verraten wird. Sie sprüht vor Witz in den Dialogen und gibt dabei noch der kläglichsten Existenz den Schein einer anderen möglichen Welt mit auf den Weg, eine überraschende Sicht, so dass ein verachtetes, hässliches und einfältiges Mädchen im Augenblick seines Todes zu einem Stern wird, zu einer machtvollen Erscheinung am Himmel eines Landes, das die Armut verachtet wie alles Hässliche und alle Wehrlosigkeit. Das war ihr letztes Buch: DIE STUNDE DES STERNS – und wahrscheinlich ihr grösstes.

   
«Ich bin ihr alle»   St. Moritz, 1948   Bern, Ende der 40er Jahre

Ihr Biograf und Übersetzer ins Englische, Benjamin Moser, wird uns schildern, wie abenteuerlich seine Suche nach den Abenteuern ihres Lebens war, und wir werden sehen, wie aus der Zerstörung einer jungen jüdisch-ukrainischen Familie am Ende die glanzvolle, profunde und tröstliche Erscheinung einer Schriftstellerin hervorging, deren Romane und Kurzgeschichten man nicht vergisst. Die von sich sagte: «Ich bin ihr alle» – und es mit ihrem Werk auch bezeugte. Die nur schrieb, was ihr am Herzen lag, dabei niemals irgendeiner Doktrin folgte, und die sich selbst in dieser Vielfalt auch ein Rätsel war.
Wir zeigen ein bewegendes Dokument, ein Video, mit dem einzigen Interview, das Clarice kurz vor ihrem Tod gegeben hat, und werden darin finden, was sie ausmacht: Die Einfachheit ihrer Antworten, genauso wie ihr Befremden über manche Fragen, sind ein Spiegel ihrer Prosa. Denn in manchen Büchern erzählt Clarice geradlinig und zugänglich, in anderen geht sie bis an die Grenzen des Sagbaren.
Sie war viele in Einer, und an diesem Abend werden sie alle da sein: die mondäne Clarice, die verzweifelte Clarice, die von Gerüchten überwucherte Clarice, die kein Mythos sein will. Clarice, die gerne Simenon las und literarische Kongresse nicht mochte, und Clarice, die sich freute, wenn junge Leser aus dem ganzen Land ihr schrieben und von ihren Kümmernissen erzählten – alle.

 
Beim Schreiben in Rio de Janeiro   Signierstunde 1961

EIN ABEND FÜR CLARICE
Gespräch mit Videobeitrag und Lesung, gestaltet von Katharina Faber und Benjamin Moser
Samstag, 5.7.2014, 20.00–21.15 Uhr

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20. Internationales Literaturfestival Leukerbad
3. bis 5. Juli 2015