Von A bis Z
Urs Allemann, Schweiz
Arno Camenisch, Schweiz
Andrea de Carlo, Italien
Rolf Dobelli, Schweiz
Alois Hotschnig, Österreich
László Krasznahorkai, Ungarn
Jérôme Lafargue, Frankreich
Rolf Lappert, Schweiz
Michael Lentz, Deutschland
Pedro Lenz, Schweiz
Kristof Magnusson, Deutschland
Milena Moser, Schweiz
Bessa Myftiu, Albanien
Deef Pirmasens
liest «Strobo» von Airen, Deutschland
Christoph Poschenrieder, Deutschland
Angelika Reitzer, Österreich
Judith Schalansky, Deutschland
Christoph Simon, Schweiz
Fabio Stassi, Italien
Ornela Vorpsi, Albanien
Alissa Walser, Deutschland
Serhij Zhadan, Ukraine
Otto Zumoberhaus, Schweiz
Urs Allemann
Geboren 1948 in Schlieren bei Zürich, aufgewachsen in Bonn und Berlin. Urs Allemann war von 1975 bis 1976 Redakteur der Zeitschrift «Theater heute» und von 1986 bis 2005 leitete er das literarische Feuilleton der Basler Zeitung. Heute lebt er in Bettingen bei Basel und arbeitet als freier Schriftsteller und Poesie-Performer, Rezitator eigener und fremder Werke (u.a. von Wilhelm Busch, Robert Gernhardt, Erich Kästner, Christian Morgenstern und Robert Walser).
«Die Tradition ist tot, es lebe die Tradition.» Tradition spiegelt sich auch in Urs Allemanns Handwerk. Er gehört zu den Lyrikern, die sich die alten Formen zurückerobern. Er braucht das klassische Sonett oder die Elegie, um sich selber zu disziplinieren, aber auch, um sich zu befreien. Urs Allemanns Gedichte sind ein akustisches Ereignis; seinem Vortrag kann sich kaum jemand entziehen. Laut lesen steigert den Reiz dieser Verse. Nie hat Urs Allemann in seinen Gedichten das letzte Wort; stets steht bei ihm zuletzt das Wort. «Ich bin / der ich trotzdem nie sein werde.» Seit 2001 veröffentlicht Allemann Gedichtbände, in denen er tradierte Poesieformen auf eigenwillige Art wiederbelebt: Zwar hält er sich streng an die Vorgaben der Gedichtformen, dekonstruiert sie aber zugleich und schildert in ihnen diffuse Gewalt- und Zerstörungsfantasien, die sich letztlich auch gegen die Sprache selbst wenden. Diese Technik wandte er 2001 in «Holder die Polder» auf die antiken Oden und Elegien von Klopstock und Hölderin und 2003 in «schœn! schœn!» auf das Sonett an.
Im Kinde schwirren die Ahnen. 52 Gedichte. Mit CD (Lesung der Gedichte durch den Autor). Urs Engeler Editor 2008
schœn! schœn! Gedichte. Urs Engeler Editor 2003
Holder die Polder. Oden, Elegien, Andere. Urs Engeler Editor 2001
Arno Camenisch
Arno Camenisch, geboren 1978 in Tavanasa in Graubünden, schreibt auf Deutsch und Romanisch (Sursilvan). Er ist zur Zeit Student am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel, wo er auch lebt. Er schreibt Gedichte, Prosa und für die Bühne; im Mai letzten Jahres erschien sein erstes Prosawerk «Sez Ner», in dem er das Leben von Hirten und Sennen während eines Sommers auf der Alp Stavonas am Fusse des Piz Sezner in der Surselva beschreibt. In kurzen Prosastücken erzählt Arno Camenisch Geschichten von Kühen und Schweinen, Katzen und Hunden, von Polenta und Käse, Alkohol und Rauchwaren, von Wind und Wetter, Mann und Frau, den Leuten aus dem Unterland und den Bauern aus den Tälern Graubündens. Es ist bei Weitem nicht alles Idylle. Dem Bergleben entgegen stehen die Städter, die aus dem Unterland kommen, um die Natur (wieder) zu entdecken.
Dass er seine Texte nicht übersetzt, sondern auf Rätoromanisch und auf Deutsch schreibt, gibt ihnen ihren ganz eigenen Klang, in dem Rauheit und Melodiösität, Kraft und Zartheit eine äusserst subtile suggestive Verbindung eingehen. Distanz und Nähe sind die bezeichnenden Momente von Camenischs Beschreibungskunst: Alles ist sehr nah und genau gesehen, und doch wird nichts blossgestellt, kann alles diskret bleiben und sich in seiner Unmittelbarkeit bergen.
Sez Ner. Romanisch und Deutsch. Urs Engeler Editor 2009
Andrea de Carlo
Andrea de Carlo wurde 1952 in Mailand geboren; nach Stationen in Australien und Amerika lebt er heute wieder in Mailand und auf dem Land bei Urbino. Er arbeitete als Fotograf und Rockmusiker und war Assistent von Federico Fellini. 1981 erschien sein erster Roman «Creamtrain». Der Erfolg dieses Debuts war keine Eintagsfliege: In Italien avancierte Andrea de Carlo schnell zum Bestsellerautor. Seine Romane wurden mittlerweile in 21 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als fünf Millionen Mal verkauft. Und Andrea de Carlo ist nicht nur als Schriftsteller erfolgreich, sondern auch als Musiker: 2002 wurde ihm der World Music Awards gleich in zwei Kategorien verliehen: Als weltbester Klassikkünstler und als bester italienischer Künstler.
Immer wieder hat er in seinem literarischen Werk Umweltthemen aufgenommen. Und sein Engagement geht über das Schreiben hinaus: Andrea de Carlo beteiligte sich selbst stark in der Greenpeace-Kampagne «Scrittori per le foreste» (Schriftsteller für die Tropenwälder). In seinem gerade auf Deutsch erschienenen Roman «Als Durante kam» wird das Leben von Pietro, Astrid und Ingrid, die sich in ihrem Aussteigerleben im östlichen Apennin bestens eingerichtet haben, durcheinander gebracht, als Durante mit viel Charme und noch mehr Lebensweisheiten in die wohlgeordnete Gemeinschaft kommt. Auf der Flucht vor der Lebenseintönigkeit stellt Durante nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Mitmenschen und seiner an verschiedenen Orten angesiedelten «Familien» immer wieder auf den Kopf. Die Geschichte kreist um Fragen, die Andrea de Carlo schon in seinen früheren Büchern aufgegriffen hat: Wieso ist es so schwierig, zufrieden zu sein? Und was ist stärker: Liebe oder Freundschaft?
Als Durante kam. Roman. Diogenes 2010. Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Das Meer der Wahrheit. Roman. Diogenes 2008. Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Wenn der Wind dreht. Roman. Diogenes 2007. Aus dem Italienischen von Monika Lustig
Rolf Dobelli
Rolf Dobelli, geboren 1966, arbeitete bei der Swissair, gründete ein Unternehmen und lebte in Hongkong, Australien, England und viele Jahre in den USA. Mit fünfunddreissig begann er zu schreiben. «Massimo Marini» ist sein sechstes Buch bei Diogenes. Dobelli lebt und arbeitet in Luzern.
In Leukerbad wird er seinen neuen Roman «Massimo Marini» vorstellen. Es gelingt Rolf Dobelli, mit diesem eindrücklichen Gesellschaftspanorama die Schweiz der letzten fünfzig Jahre darzustellen. Angelpunkt ist der erste grosse Durchstich des längsten Tunnels der Welt, des Gotthard-Basistunnels. Rolf Dobelli schildert detailgenau den Umgang mit den ersten italienischen Einwanderern in den fünfziger Jahren sowie die gesellschaftliche Situation zur Zeit der ersten Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach.
In einem Koffer wurde Massimo als Säugling in die Schweiz geschmuggelt, neun Jahre lang mussten seine Eltern ihn versteckt halten, um ihre Arbeitsbewilligung nicht zu verlieren. Der Vater war ein harter Malocher, der es zum erfolgreichen Bauunternehmer schaffte; all das tat er für den Sohn Massimo, der es einmal besser haben sollte. Dessen Leben glänzte mit Dramatik und Höhepunkten. Vom italienischen Immigrantenkind zum Zürcher Gesellschaftslöwen, vom Opernhausdemonstranten zum Opernhaussponsor, vom Existenzphilosophen zum Bauunternehmer, vom Linken zum Rechten, von den Tiefen in die Höhen, vom Süden zum Norden, bis er einer Frau begegnet, die sein Glück krönt — und zerstört: Wir erleben ein umfassendes Zeitporträt und die Lebensgeschichte einer vitalen, schillernden Persönlichkeit. «Massimo Marini» ist ein packender Gesellschafts- und Entwicklungsroman.
Massimo Marini. Roman. Diogenes 2010
Turbulenzen. 777 bodenlose Gedanken. Diogenes 2009
Himmelreich. Roman. Diogenes 2008
Alois Hotschnig
Alois Hotschnig, 1959 in Kärnten geboren, ist ein stiller Meister hochkonzentrierten Erzählens und zählt zu den besten Schriftstellern seiner Generation. Die alpenländische Herkunft hat seinen Blick für die abgelegenen, riskanten Landschaften des Daseins geschärft. Mit seiner Sprach- und Schreibpräzision gelingt es ihm, im neuen Erzählband «Im Sitzen läuft es sich besser davon» das Zwanghafte einzufangen, Absurditäten und Aporien zu zeigen und Mitgefühl für Menschen zu mobilisieren, die nicht anders können, obwohl sie gern anders möchten. Zum Beispiel das gealterte Ehepaar, das sich in der Erzählung »Die grossen Mahlzeiten« darüber zu verständigen sucht, wer wann wie viel von welchem Medikament zu sich nehmen muss und was daraus für ihren Alltag folgt. Hotschnig hat intensiv recherchiert für sein Buch: Monatelang hat er in den Wartezimmern diverser Ärzte gesessen und hat die Gespräche der Patientinnen und Patienten belauscht.
Durchgehend sind es Menschen am Rand der Gesellschaft, die in Hotschnigs Erzählungen miteinander, vor allem aber aneinander vorbei sprechen: Bewohner von Altersheimen, Psychiatriepatienten, Hypochonder im Wartezimmer, Menschen mit seelischen Beschädigungen, die am Alltag scheitern oder mit dem anbrechenden Ende ihres Lebens nicht zurechtkommen. Und so erklärt sich auch der Titel des Buches: Es handelt sich beim Satz "Im Sitzen läuft es sich besser davon" nicht nur um die Schlusspointe einer Erzählung, sondern auch um das Konzept dieses Bandes. Seine Protagonisten sitzen fest, haben den Traum vom Weglaufen aber noch nicht aufgegeben.
Im Sitzen läuft es sich besser davon. Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch 2009
Die Kinder beruhigte das nicht. Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch 2006
Ludwigs Zimmer. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2000
László Krasznahorkai
László Krasznahorkai wurde 1954 im ungarischen Gyula geboren. Er studierte Philosophie an der Universität Budapest und ist heute einer der bekanntesten ungarischen Autoren. Er lebt als freier Schriftsteller in Pilisszentlászló in der Nähe von Budapest.
Als Schauplätze seiner Handlungen wählt László Krasznahorkai bewusst Orte und Gegenden, die bei den Lesenden bereits mit starken Bildern und Gefühlen besetzt, ihm aber doch fremd sind: Sein Roman «Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss» spielt in einem japanischen Kloster, «Der Gefangene von Urga» in der Wüste; in «Krieg und Krieg» unternimmt ein ungarischer Privatgelehrter eine Reise nach New York City, um dort zu sterben.
Nachdem er 2008 bereits am Festival in Leukerbad war, begrüssen wir ihn in diesem Jahr – ebenso wie Alissa Walser – als Spycher-Preisträger. In der Begründung der Jury heisst es: «László Krasznahorkai ist eine der eindrücklichsten und ungewöhnlichsten Stimmen der so reichhaltigen ungarischen Gegenwartsliteratur. Er erhält den Spycher: Literaturpreis Leuk 2010 für sein Gesamtwerk, insbesondere aber für seinen Roman «Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss». Im Zentrum der magischen Beschreibungskunst, die dieses Buch über unsere Wahrnehmung fernöstlicher Ästhetik selbst zu einem meditativen Erlebnis machen, steht ein Garten, dessen Grossartigkeit dadurch charakterisiert wird, dass er «weder eine Sehenswürdigkeit noch ein Zirkus» sei. Besser lässt sich der Anspruch des Erzählers Krasznahorkai nicht charakterisieren, und besser den Genuss, den die Lektüre seiner Bücher bietet, nicht umschreiben.»
Seiobo auf Erden. Erzählungen. S. Fischer Verlag. 2010. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming.
Satanstango. Roman. Ammann 2007 (Erstveröffentlichung: 1985 auf Ungarisch). Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki.
Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss. Roman. Ammann 2005. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh.
Jérôme Lafargue
Jérôme Lafargue wurde 1968 im Südwesten Frankreichs geboren und gibt als beruflichen Werdegang an, er sei unter anderem Surfer, Fallschirmspringer und Bademeister gewesen. Heute ist der studierte Politologe stellvertretender Direktor des Institut Français de Recherche en Afrique (IFRA) in Nairobi, Kenia, wo er auch lebt. Er forscht im Bereich der Demokratisierung und über politische Systeme in Kenia.
Wer nun denkt, sein Roman «Freund Butler» spiele in Afrika, irrt sich: Schauplatz ist ein Provinzort, in den Johan gerufen wird, nachdem sein Zwillingsbruder Timon zusammen mit seiner todkranken Frau Ilanda verschwunden ist. Timon hatte zuletzt Biografien fiktiver Autoren geschrieben. Johan findet diese Texte und macht die merkwürdige Erfahrung, von einem der fiktiven Autoren, Owen W. Butler, Besuch zu bekommen. Was in der Art eines Kriminalromans mit der Suche nach den Verschwundenen und einem Wettlauf gegen den örtlichen Polizeihauptmann Reuleville beginnt, zieht den Leser schnell aus der vermeintlich sicher geglaubten Realität in einen sich immer schneller drehenden Strudel aus Verunsicherung und Faszination. Jérôme Lafargue nutzt beim Spiel mit der Wahrnehmung Techniken, denen sich auch Paul Auster bedient, um seine Leser in Irritationen zu stürzen. Entstanden ist so ein schillernder, fesselnder und eindrücklicher Roman.
«Freund Butler» ist Jérôme Lafargues erster Roman. In Frankreich wurde er dafür mit mehreren Preise ausgezeichnet, darunter dem Prix Initales für den besten Debutroman. 2009 erschien in Frankreich Jérôme Lafargues zweiter Roman «Dans les ombres sylvestres», der bisher nur auf Französisch vorliegt.
Freund Butler. Roman. Weidle Verlag 2009 Aus dem Französischen von Wieland Grommes
Dans les ombres sylvestres. Roman. Quidam 2009 (bisher nur auf Französisch)
Rolf Lappert
Der 1958 in Zürich geborene Rolf Lappert lebt heute in Listowel, Irland. Nach einer Ausbildung zum Grafiker veröffentlichte er mehrere Romane, Kurzgeschichten und Gedichtbände, bis er das Schreiben zeitweise aufgab und stattdessen mit einem Freund einen Jazzclub eröffnete. Von 1996 bis 2004 arbeitete er als Drehbuchautor für eine Serie des Schweizer Fernsehens – «Knochenarbeit», wie er selbst im Interview sagt, daneben etwas «Richtiges» zu schreiben, sei unmöglich gewesen.
Einem breiten Publikum wurde Rolf Lappert bekannt, als ihm 2008 für «Nach Hause schwimmen» der erste Schweizer Buchpreis verliehen wurde. Der von den Kritikern hochgelobte Roman um Wilbur, der panische Angst vor Wasser hat und gern so stark und unverwundbar wäre wie Bruce Willis, und Aimee, die Wilbur aus seiner Lebensunwilligkeit herausreissen will, steht in diesem Jahr im Mittelpunkt des Übersetzerkolloquiums. Aber nicht nur Wilbur und Aimee begleiten Rolf Lappert nach Leukerbad, sondern auch Tobey und Megan, die beiden Hauptdarsteller seines neuen Romans «Auf den Inseln des letzten Lichts»: Tobey, der sich in Dublin als Rockmusiker versucht, macht sich auf die Suche nach seiner Schwester Megan, die sich durch ihre fanatische Leidenschaft für den Tierschutz in Schwierigkeiten gebracht hat und verschwunden ist.
Immer wieder wurde Rolf Lapperts Erzählweise mit der John Irvings verglichen. Bemerkenswert ist neben seiner Fabulierkunst die Gestaltung seiner Figuren: Verschroben und vom Leben gebeutelt sind sie fast alle, aber gerade dadurch sind sie auch so herzerwärmend und hinterlassen Spuren im Lesegedächtnis. In Leukerbad wird Rolf Lappert erstmals aus seinem neuen Roman lesen.
Auf den Inseln des letzten Lichts. Roman. Hanser (erscheint im August 2010)
Nach Hause schwimmen. Roman. Hanser 2008
Die Gesänge der Verlierer. Roman. Hanser 1995
Michael Lentz
Michael Lentz, 1964 in Düren geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Er hat vielgelobte Romane, Gedichtbände und Essays veröffentlicht, eine zweibändige Dissertation zur Lautpoesie vorgelegt, hat an den Donaueschinger Musiktagen mitgewirkt, unterrichtet angehende Autorinnen und Autoren, ist Präsident der Freien Akademie der Künste zu Leipzig und schreibt gelegentlich über Fussball. Bekannt ist er auch für seine aussergewöhnliche Vortragskunst, die sich bei seinen Sololesungen ebenso erleben lässt wie bei seinen Auftritten zusammen mit der Band «Sprechakte Xtreme».
Jetzt ist sein neuer Liebesgedichtband «Offene Unruh» erschienen. Darin schreibt Michael Lentz über die Liebe, als sei noch nie darüber geschrieben worden: selbstbewusst und subversiv, leidenschaftlich liebeswund und verführerisch. So frei, zudringlich, zärtlich und offen zwischen Tradition und Experiment kann nur Michael Lentz über die Liebe sprechen – und schreiben. Ratlosigkeit ist ein weiteres starkes Gefühl, dem der Autor in den Gedichten nachgeht. Lentz fragt immer wieder nach – und dabei hinterfragt er. Kein Gefühl wird einfach akzeptiert, sondern Stimmungslagen werden seziert. Mit gleicher Intensität schreibt er auch dem Liebesgefühl hinterher, wenn es Anstalten macht, sich zu verflüchtigen. Darin besteht die Spannung in diesem Gedichtband. Die Liebe lässt sich nicht beherrschen, die Sprache der Liebe schon. Die erste Auflage ist bereits vergriffen –«Offene Unruh» schickt sich an, einer der wenigen Lyrik-Bestseller zu werden.
Offene Unruh, Gedichte. S. Fischer Verlag 2010
Pazifik Exil. Roman. S. Fischer Verlag 2007
Pedro Lenz
Pedro Lenz sagt über seine Figuren: «Grundsätzlich habe ich Menschen gern, das ist wohl die Bedingung, um so arbeiten zu können, wie ich es tue. Und ich denke, dass man über alle Leute interessante Geschichten erzählen kann; über Prominente vielleicht noch am wenigsten. Als Kind meinte ich ja immer, wenn ich «Derrick» schaute, dass alle Leute in Deutschland einen BMW, einen Flügel und einen Swimmingpool zu Hause hätten. Solche Missverständnisse geschehen auch in der Literatur. Die Menschen, über die ich schreibe, sind nicht einfache Leute. Es sind einfach Leute.»
Im ersten Roman von Pedro Lenz «Der Goalie bin ig» hält ein Ich-Erzähler Rückschau auf ein verlorenes Paradies. Der «Goalie», ein Süchtiger aus einem Dorf im Mittelland, erzählt in Umgangssprache von seiner Lebenswelt in den 80er-Jahren. Seine Sicht auf die Umgebung ist getrübt vom Wunsch, sein bisheriges Leben schönzureden. Nach einer Gefängnisstrafe versucht er wieder im Alltag Fuss zu fassen, findet eine Gelegenheitsarbeit, verliebt sich in eine Serviererin und reist mit der Angebeteten nach Spanien – und trotzdem holen ihn die alten Geschichten immer wieder ein.
Lenz gelingt ein berührendes Porträt des «Goalies» und seiner kleinen, uns wenig bekannten Welt mitten in der Schweiz. Doch da die grosse Welt aus lauter kleinen Räumen besteht, haben wir es hier zweifellos mit grosser Literatur zu tun. Der Roman ist in Berner Mundart geschrieben. In Leukerbad wird Pedro Lenz von Raphael Urweider unterstützt, der den Roman ins Hochdeutsche übertragen hat.
Der Goalie bin ig. Roman in Bernder Mundart. edition spoken script IV, Verlag Der gesunde Menschenversand 2010
Plötzlech hets di am Füdle. Gedichte in Berner Mundart. Cosmos Verlag AG 2008
Kristof Magnusson
«Das war ich nicht» – das ist nach dem gefeierten Debüt «Zuhause» der zweite Roman des deutsch-isländischen Autors Kristof Magnusson, der 1976 in Hamburg geboren wurde.
Die Hürde des zweiten Romans, an der bekanntlich schon viele talentierte Debütanten scheiterten, meistert er nicht nur souverän; er beeindruckt überdies durch seine künstlerische Weiterentwicklung. Thematisch beweist der ausgebildete Kirchenmusiker ein gutes Gehör für aktuelle Zeitströmungen: "Das war ich nicht" dachte er sich vor der Finanzmarktkrise aus. Doch selbst nach dem ökonomischen Debakel der letzten Jahre kann das Buch seine solid recherchierte und gekonnt aufbereitete Substanz behaupten. Der Roman erhellt die für Laien kaum verständlichen wirtschaftlichen Vorgänge nicht nur, sondern schildert sie derart spannend, lustig und leicht, dass die abstrakten Ziffern- und Zahlenkolonnen, die als Synonyme für das ewige Kaufen und Verkaufen über die Monitore der Händler laufen, eine sinnliche Dimension von Reichtum und Macht entfalten. Dieser Roman über die Paradigmen des Kapitalismus samt seiner Krisen überzeugt als hinreissend vergnüglicher, gänzlich unangestrengter Exkurs über den Verlust ideologischer Illusionen und materieller Irrläufer.
Das war ich nicht. Roman. Antje Kunstmann Verlag 2010
Zuhause. Roman. Antje Kunstmann Verlag 2005
Milena Moser
Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren, nach einer Buchhändlerlehre arbeitete sie als freie Journalistin für verschiedene Medien. Acht Jahre lang lebte Milena Moser in San Francisco, heute wohnt sie im Aargau. Im letzten Jahr gründete Milena Moser zusammen mit anderen eine Schreibschule, in der es ihr vor allem darum geht, den Weg zum eigenen Schreiben und den eigenen Themen aufzuzeigen.
Bekannt geworden ist Milena Moser mit dem Roman «Die Putzfraueninsel», aber auch die Titel ihrer letzten Bücher sind durch ihre Eingängigkeit vielen noch im Ohr: «Schlampenyoga» (2005), «Stutenbiss» (2007), «Flowers in your hair» (2008). Auch der neue Roman hat wieder einen offensiven Titel: «Möchtegern» ist ihr mittlerweile 14. Buch. Und Milena Moser selbst sagt darüber: «Dieses Buch ist meine Superblondine. So wie sich ältere Herren zur Midlife-Crisis einen Sportwagen zulegen oder eben eine Blondine, so habe ich mir dieses Buch geleistet.» Ohne einen Verlagsvertrag im Rücken schrieb sie das Buch «in Freiheit», um sich selbst wieder die Möglichkeit zu geben, ohne Zwänge zu schreiben.
Die Möchtegerns in ihrem neuen Roman sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Casting-Show im Fernsehen, aber es werden keine Gesangswunder, Laufstegschönheiten oder Lebensabschnittsgefährten gesucht, sondern gesucht wird der neue «Schweizer SchreibStar». Hauptfigur ist die einstmals sehr erfolgreiche Autorin Mimosa Mein, die mit Milena Moser mehr als nur die Initialen gemein hat. Dabei ist «Möchtegern» bei aller augenzwinkernd vorgebrachten Kritik am Schreibbusiness und an den Casting-Shows nicht als Schlüsselroman zu lesen. Vielmehr trifft Milena Moser mit der unterhaltsamen Mischung aus Krimi und Selbstfindung den Zeitgeist, zielgenau, aber nie unter der Gürtellinie.
Möchtegern. Roman. Nagel & Kimche 2010
Flowers in your hair. Wie man in San Francisco glücklich wird. Blessing Verlag 2008
Stutenbiss. Roman. Blessing Verlag 2007
Bessa Myftiu
Bessa Myftiu wurde in Tirana, Albanien, geboren. Nach dem Literaturstudium an der Universität von Tirana arbeitete sie als Journalistin. 1992 zog sie nach Genf, wo sie einen Lehrauftrag an der Universität im Bereich Erziehungswissenschaften inne hat. Neben verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlichte sie auch Übersetzungen aus dem Albanischen sowie Romane, Lyrik- und Erzählbände auf Französisch. Ihre Bücher bot sie sowohl französischen wie auch Verlagen aus der Romandie an – veröffentlicht wurden alle in Frankreich. Nach eigenen Aussagen sieht sie sich weder als albanische, schweizerische noch französische Autorin, sondern als «Autorin, die auf Französisch schreibt.» Nach dem Grund gefragt, weshalb sie all ihre Texte auf Französisch publiziert, antwortete sie: «Aus Liebe».
In ihrem Roman «An verschwunden Orten» (Original: «Confessions de lieux disparus») erzählt Bessa Myftiu die Geschichte ihrer Familie und vor allem ihrer Kindheit in Albanien. Sie wächst in Tirana auf, in einem engen Zusammenschluss von Familie, Nachbarn und Freundinnen. Auf der einen Seite schildert Bessa Myftiu die alltäglichen Erlebnisse und kleinen Liebesgeschichten ihres frühen Ichs, auf der anderen Seite zeigt sie auf, wie ihr Leben beeinflusst wird durch das Schicksal des Vaters, der beim Regime Enver Hoxhas in Ungnade gefallen ist. Bessa Myftiu erzählt aus der Perspektive des Mädchens, das sie selbst war. Beeindruckend ist dabei ihre Beobachtungsgabe, mit der sie dem Leser intime Einblicke in das von Totalitarismus und Patriarchat geprägte Land ermöglicht. «An verschwundenen Orten» ist der erste Roman von Bessa Myftiu, der auf Deutsch erschienen ist. Das Vorwort von Amélie Nothomb wurde in der deutschen Ausgabe ebenfalls übernommen.
An verschwundenen Orten. Roman. Limmatverlag 2010. Aus dem Französischen von Katja Meintel
Deef Pirmasens liest Airen,
feat. VJ gently.radical
Es ist der Literaturskandal der Saison: Die gefeierte Jungautorin Helene Hegemann gibt im Februar zu, in ihrem hochgelobten Debütroman «Axolotl Roadkill» ohne Angabe von Quellen bei anderen abgeschrieben zu haben. Das Original, von dem Hegemann abgeschrieben hat, heisst «STROBO» und ist die gedruckte Version des Blogs eines jungen Mannes, der unter dem Pseudonym «Airen» seine Party-, Sex- und Drogenexzesse in der Berliner Technoszene detailliert beschreibt. Nachdem Deef Pirmasens in seinem Blog www.gefuehlskonserve.de mehrere Textstellen aus Hegemanns Buch den entsprechenden Textstellen aus «STROBO» gegenüberstellt, ist klar, woher die damals noch minderjährige Autorin die profunden Kenntnisse der Szene um den berüchtigten Technoclub «Berghain» und um das Lebensgefühl der Nuller Jahre hatte. Die darauf folgende mehrwöchige Debatte um Ideendiebstahl, Intertextualität und Urheberrechte ist mittlerweile beigelegt; «STROBO» wird im Herbst 2010 als Taschenbuch bei Ullstein, der auch Hegemann verlegt, erscheinen.
Bemerkenswert an «STROBO» ist die Authentizität. Für die Druckversion wurden die Blogtexte zwar bearbeitet und lektoriert, die Unmittelbarkeit und das Rauschhafte der Sprache gingen dadurch jedoch nicht verloren. Airen selbst sagt im Interview mit der FAZ: «Was ich geschrieben habe, habe ich durchlitten - gottseidank bin ich ohne Krankheit davon gekommen. (...) Das Buch ist im Rausch erlebt und im Rausch geschrieben.» Da Airen anonym bleiben möchte, wird Deef Pirmasens in Leukerbad für ihn auftreten. Pirmasens arbeitet als Autor und Sprecher und hat «STROBO» bereits zuvor präsentiert. Der Live-Vortrag wird mit Instrumentalmusik von Festplatte und Videofragmenten von VJ gently.radical (www.gentlyradical.de) bereichert werden.
Airen. STROBO. Roman. SuKuLTuR Verlag 2009. Im Taschenbuch bei Ullstein Verlag (erscheint im Oktober 2010)
Trailer: STROBO - Lesungstour 2010
Christoph Poschenrieder
Christoph Poschenrieder wurde 1964 bei Boston geboren und wohnt heute in München. Er studierte Philosophie in München und besuchte die Journalistenschule an der Columbia University, New York. Seit 1993 arbeitet er als freier Journalist und Autor von Dokumentarfilmen und seit 2001 schreibt er auch Gebrauchsanweisungen für Computersoftware.
«Die Welt ist im Kopf» ist die Geschichte des jungen Arthur Schopenhauer, der ungeduldig darauf wartet, dass sein erstes grosses Werk endlich erscheint und sich unterdessen auf eine Reise nach Venedig begibt – in der Tasche ein Empfehlungsschreiben von niemand geringerem als Johann Wolfgang von Goethe. Das Ziel seiner Reise und gleichzeitig auch eine Art Gegenspieler ist Lord Byron, unumstrittener Popstar des 19. Jahrhunderts.
Das Bild, das Christoph Poschenrieder von dem jungen Schopenhauer zeichnet, hat nichts mit dem Klischee des Frauen- und Menschenfeindes zu tun, für den der Philosoph gemeinhin gehalten wird. Die Ereignisse, die ihn später in seinem Leben zum Menschenfeind machen werden, liegen in «Die Welt ist im Kopf» noch vor dem jungen Mann. Passend fasst Christoph Poschenrieder selbst den Kern seines Romans zusammen: «Es geht um Ruhm und Anerkennung, was man bereit ist, dafür zu tun, dafür zu opfern.»
Christoph Poschenrieder schreibt vergnüglich, die Freude, die er selbst am Schreiben und Recherchieren hat, steckt in jeder Figur und in jedem Satz in diesem eng an die historischen Tatsachen angelehnten Roman. «Die Welt ist im Kopf» ist sein erster Roman, mit Schopenhauer setzte er sich bereits in seiner Magisterarbeit auseinander. Und beim literarischen Schreiben sei seine journalistische Ausbildung ihm sehr hilfreich, vor allem bei der Textüberarbeitung und dem Kürzen, verrät er im Interview.
Die Welt ist im Kopf. Roman. Diogenes 2009
Angelika Reitzer
Die 1971 in der Steiermark geborene Autorin ist in der Nähe von Graz aufgewachsen. Sie lebt und arbeitet seit Jahren in Wien. Angelika Reitzer ist die neue Frauenstimme aus Österreich.
In ihrer Textsammlung «Frauen in Vasen» schildert sie Szenen aus dem Leben von Maria, mosaikartig und aneinandergereihte Episoden, mit denen sich vor den Augen der Lesenden ein (Lebens-)Bild zusammensetzt. Angelika Reitzer lässt Momentaufnahmen, Traumsequenzen, Rückblenden in die Kindheit einander abwechseln. Sie wählt damit eine sehr komplexe Erzähltechnik, die den Leser gleichsam auffordert, tiefer in den Text einzudringen, was dem Werk einen besonderen Impuls verleiht. Angelika Reitzer versteht es, mit unkomplizierten Worten ihre Geschichten so darzustellen, dass Gefühle erwachen und der Leser selbst Teilnehmer der Handlung wird.
In Leukerbad wird Angelika Reitzer erstmals ihren neuen Roman «Unter uns» vorstellen. Am Beginn der Geschichte steht ein Familienfest, das ein Abschiedsfest ist: Clarissas Eltern steigen aus, auch aus dem Leben der Kinder. Clarissa und all die anderen stehen in der Mitte des Lebens, aber doch nur irgendwie, ungefähr. Sie suchen ihren Platz in wechselnden Verhältnissen, zwischen einem Projekt und dem nächsten, ohne dass davon mehr bleibt als ein unsicheres Netzwerk von Kontakten und losen Beziehungen. Ein grosses Panorama der Gegenwart, einer Gegenwart der neuen Lebens- und Arbeitsverhältnisse, in der alles nur mehr auf Zeit ist. Ein Familienroman ohne Familie.
Unter uns. Roman. Residenz Verlag 2010
Frauen in Vasen. Prosa. Haymon Verlag 2008
Taghelle Gegend. Roman. Haymon Verlag 2007
Judith Schalansky
Judith Schalansky, die als freie Autorin und Gestalterin in Berlin lebt und in Potsdam typografische Grundlagen lehrt, hat mit dem «Atlas» eine Darstellungsform gefunden, die ihre bisherigen Arbeiten auf ideale Weise zusammenbringt. Vor drei Jahren veröffentlichte sie mit «Fraktur mon Amour» eine Liebeserklärung an den alten, gebrochenen Schrifttyp. Im vergangenen Jahr folgte ihr Romandebüt «Blau steht dir nicht», in dem es um Sehnsucht nach fernen Ländern geht. Mit dem «Atlas der abgelegenen Inseln» hat Judith Schalansky nun das Gestalterische wie das Fernweh in einem wunderbaren Buch zusammengebracht.
Inseln sind immer beides: Orte des Abscheus und des Begehrens, der Flucht und der Zuflucht, Paradiese und Höllen. Und da sie alles sein können, werden sie so bald nicht aufhören, eine grandiose Projektionsfläche für Wünsche und Befürchtungen zu sein. Wer das bezaubernde Buch aufschlägt, dürfte wie einst Robinson Crusoe der Welt für eine Weile abhanden kommen. Denn die 1980 geborene Autorin und Gestalterin Judith Schalansky offenbart sich als große Verführerin, typografisch und topografisch: Während einer Weltumrundung entführt sie uns auf fünfzig Inseln, die so märchenhafte Namen wie Einsamkeit, Pukapuka, Fangataufa oder Inseln der Enttäuschung tragen. Unsere gleitenden Finger auf den Karten sind auch eine erotische Geste. «Die Kartografie sollte endlich zu den poetischen Gattungen und der Atlas selbst zur schönen Literatur gezählt werden». Wie berechtigt ihre Forderung ist, hat sie mit dieser bibliophilen Paradiesinsel bewiesen.
Atlas der abgelegenen Inseln. Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde. Mare Verlag 2009
Blau steht dir nicht. Matrosenroman. Mare Verlag 2008
Fraktur mom amour. Frakturschriften mit CD-Rom. Hermann Schmidt Verlag 2006
Christoph Simon
Christoph Simon, 1972 in Langnau im Emmental geboren, lebt und arbeitet seit Jahren in Bern. Zusammen mit Urs Mannhart und Lorenz Langenegger bildet er die Autorengruppe «Die Autören».
Zehn Jahre nach seinem Debüt mit dem Kultroman «Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen» schreibt Christoph Simon ein grossartiges Buch zum literarischen Thema des Spazierens. Mit diesem vierten Roman «Spaziergänger Zbinden» findet Christoph Simon einen neuen Ton und wagt sich an die grossen Gefühle des Lebens heran. Wer je einen alten, gebrechlichen Menschen die Treppe hinunter begleitet hat, weiss, dass dies sehr lange dauern kann. Lukas Zbinden, dem 87-jährigen Protagonisten aus Christoph Simons Roman, reicht die Zeit gar, seinem Begleiter, dem Zivildienstleistenden Kâzim, alles über seine grosse Liebe, Emilie, und seine grosse Leidenschaft, das Spazieren, zu erzählen.
«Spaziergänger Zbinden» ist ein rührender und sehr humorvoller Roman über das Leben eines Menschen, dem man wohl zu jedem Zeitpunkt seines Lebens gerne begegnet wäre. Nicht, dass dieser Lukas Zbinden ein einfacher Mensch ist; die Liebe zu seiner Frau Emilie war nicht ohne Hochs und Tiefs. Eifersucht und Trotz waren auch dem sonst stets frohen Optimisten Zbinden nicht fremd. Dennoch ist er wohl nur durch diese lebenslange Liebe zu seiner Frau im Alter kein mürrischer Spaziergänger geworden, sondern einer, dem sich die Welt öffnet, sobald er sie beschreitet. Es ist ein stiller, feiner Roman, den man nicht verschlingt, sondern den man gemütlich angeht – wie einen Spaziergang eben.
Spaziergänger Zbinden. Roman. Bilger Verlag 2010
Planet Obrist. Roman. Bilger Verlag 2005
Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen. Roman. Bilger Verlag 2001
Fabio Stassi
Er ist 1962 in Sizilien geboren und arbeitet heute als Bibliothekar in Rom. Fabio Stassi hat bisher drei Romane veröffentlicht und gehört in Italien zu den aufregendsten Autoren seiner Generation.
In seinem dritten Roman – dem ersten, der auf Deutsch erschienen ist – , dem Schachroman «Die letzte Partie» erzählt er mit unbändiger Fantasie die Geschichte vom Leben und Untergang des legendären Schachspielers Capablanca. Aus dem Schachspiel macht er eine Metapher für das Leben und schildert auf wunderschön melancholische Weise Leidenschaft, Obsessionen und die ewige Angst vor der Niederlage.
Sein neuester ins Deutsche übersetzte Roman, «Die Trophäe», ist eine atemberaubende Geschichte über Liebe, Fussball und einen unbeirrbaren Rebellen. Im Paris der 20er-Jahre verliebt sich der junge Rigoberto Aguyar Montiel unsterblich in Consuelo, eine schöne Andalusierin, die für die Siegertrophäe "Coupe Jules Rimet" der bevorstehenden ersten Fussballweltmeisterschaft Modell steht. Als die Angebetete kurz danach auf mysteriöse Weise verschwindet, schwört sich der verzweifelte Rigoberto, wenigstens den Pokal in seinen Besitz zu bringen. Als Sportjournalist getarnt, reist Rigoberto von Weltmeisterschaft zu Weltmeisterschaft, gelangt vom faschistischen Italien der 30er-Jahre über das revolutionäre Kuba der 50er und das Swinging London der 60er schliesslich in das von Diktaturen gebeutelte Südamerika der 70er.
Fabio Stassi erzählt auf mitreissende Weise eine Mischung aus Abenteuerroman, Politthriller und enzyklopädischer Erzählung über die Fussballweltmeisterschaften mit ihren legendären Spielen.
Die Trophäe. Roman. Kein & Aber 2010. Aus dem Italienischen von Monika Köpfer
Die letzte Partie. Roman. Kein & Aber 2008. Aus dem Italienischen von Monika Köpfer.
Ornela Vorpsi
Albanien ist Einsamkeit, heisst es in einem der Reiseessays von Andrzej Stasiuk. Das über Jahrzehnte vom Rest Europas abgeschirmte Land sei das «Unbewusste unseres Kontinents», das europäische Es, die Angst, die Westeuropa nachts heimsuche.
Ornela Vorpsi wurde 1968 in Tirana geboren. Seit den 1990er-Jahren lebt und arbeitet sie als Schriftstellerin, Fotografin, Malerin und Videokünstlerin in Paris. Ihre auf Italienisch verfassten Texte erscheinen in der Regel zuerst in französischer Übersetzung. Das Aufsehen erregende Debüt «Il paese dove non si muore mai» (2005; Deutsch «Das ewige Leben der Albaner», 2007) enthält Prosaskizzen einer albanischen Kindheit und ist eine harsche Abrechnung mit dem Herkunftsland der Autorin zur Zeit des Kommunismus. Die junge Protagonistin ist der Rohheit der Gesellschaft, in der sie aufwächst, ungeschützt ausgeliefert. In der Mischung aus Begehren und Hass, mit der sich die Geschlechter begegnen, und der grausamen Willkür des politischen Systems erfährt sie die fundamentale Absurdität des Lebens.
Mit ihrem zweiten Buch, auf Deutsch unter dem Titel «Die Hand, die man nicht beisst» erschienen, führt sie fort, was sie in «Das ewige Leben der Albaner» begonnen hat: das «Balkansyndrom» ebenso unverblümt wie liebevoll zu beschreiben, die Menschen zwischen Serbien und Albanien zu schildern, deren Leben von Legenden nicht weniger bestimmt ist als vom Traum, eines Tages in den goldenen Westen zu gelangen. Vorpsi präsentiert wundervolle Miniaturen, mit scharfem Blick beobachtet und in eine Sprache verpackt, die noch das härteste Urteil in eine Aura grosser Milde hüllt, die witzig und geistreich ist und in der man «Die Hand, die man nicht beisst» am besten küsst.
Die Hand, die man nicht beisst. Roman. Zsolnay Verlag 2010. Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Das ewige Leben der Albaner. Roman. Zsolnay Verlag 2007. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Alissa Walser
Alissa Walser wurde 1961 in Friedrichshafen geboren und studierte in Wien und New York Malerei. Seit 1987 lebt sie in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung «Geschenkt» wurden ihr 1992 der Ingeborg-Bachmann-Preis und der Bettina von Arnim-Preis verliehen. Sie hat verschiedene Prosawerke und Theaterstücke veröffentlicht und sich einen Namen als Malerin gemacht. Als Übersetzerin hat Alissa Walser ausserdem die Tagebücher von Sylvia Plath sowie Theaterstücke unter anderem von Joyce Carol Oates, Edward Albee, Marsha Norman und Christopher Hampton ins Deutsche übertragen. Ihre frühen literarischen Arbeiten erschienen unter dem Pseudonym «Fanny Gold».
Alissa Walser ist zusammen mit László Krasznahorkai als Trägerin des Spycher: Literaturpreis Leuk am Literaturfestival. In der Begründung der Jury heisst es: «Alissa Walser ist Malerin und Übersetzerin, Autorin von Erzählungen und Theaterstücken, erhält den Spycher: Literaturpreis Leuk 2010 für «Am Anfang war die Nacht Musik» – ihren ersten Roman. Mit ihm gelingt ihr in erstaunlicher Weise, was zum Schwierigsten von Literatur gehört: eine Sprache des Nichtsprachlichen zu erfinden. Alissa Walser erzählt von dem historisch verbürgten Therapieverhältnis zwischen einem erblindeten musikalischen Wunderkind und dem Arztmagier Franz Anton Mesmer im Wien des 18.Jahrhunderts. Zwei Seelenverwandte jenseits der herrschenden Vernünftigkeit, deren Geschichte Alissa Walser in einer behutsam ertastenden und bis in Aphoristische hinein verknappten Sprache mit ganz eigener Musikalität und in originellen Motiven und Bildern zu entwerfen weiss.»
Am Anfang war die Nacht Musik. Roman. Piper Verlag 2010
Die kleinere Hälfte der Welt. Erzählband. Rowohlt Verlag 2000
Dies ist nicht meine ganze Geschichte. Erzählungen. Piper Verlag 1994
Serhij Zhadan
Serhij Zhadan ist der Star der jungen ukrainischen Literatur. Er ist, neben Juri Andruchowytsch, der bekannteste ukrainische Gegenwartsautor. Serhij Zhadan, im ostukrainischen Starobilsk geboren und bereits Verfasser von elf Büchern, von Lyrik und Prosa, führt uns mitten in die Anarchie der postsowjetischen Umbruchszeit hinein.
In seinem neusten Roman «Hymne der demokratischen Jugend» zieht Serhij Zhadan alle Register seines Könnens, um in sechs witzigen, temporeichen Episoden ein paar Helden der Transformationszeit zu schildern - Mitspieler in einer Gesellschaft, die sie bald wieder ausspucken wird. Er treibt die Osteuropa-Klischees auf die Spitze und erzählt von den Glückssuchern der Gegenwart. Draufgängerisch und bauernschlau suchen Zhadans Aussenseiter ihren Platz in der Welt der Businesspläne und Firmenphilosophien. Wenn es nach den Kulturfunktionären im Land ginge, meint Zhadan, müsste alle Gegenwartskultur eine nationale Note, ein volkstümliches Kolorit haben. Doch sei die Rede vom «Kulturraum» nichts als ein Hirngespinst. «Es gibt keinen Kulturraum, es gibt dich und deinen Fernseher, und was du in ihm siehst, ist allein deine Sache.» Mit kämpferischer Attitüde ruft Zhadan das Copyright als letzten «Gegenstand des Klassenkampfes» aus. Serhij Zhadan ist kein Spurenleser. Sein literarischer Raum ist das Hier und Jetzt, das pralle Leben. Er erzählt Geschichten von seiner Generation - urban und ohne Nostalgie.
Hymne der demokratischen Jugend. Roman. Suhrkamp Verlag 2009 Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr
Die Selbstmordrate bei Clowns. Erzählungen und Texte von Serhij Zhadan, Fotos von Jacek Dziaczkowski. Edition Foto Tapeta 2009 Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe
Anarchy in the UKR. Suhrkamp 2007. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe
Otto Zumoberhaus
Otto Zumoberhaus wurde 1929 in Raron im Oberwallis geboren. 1950 verliess er das Wallis, um zunächst eine Laufbahn in der Hotellerie einzuschlagen und später bei einer Bank zu arbeiten. Heute lebt Otto Zumoberhaus in Basel.
Bisher veröffentlichte Otto Zumoberhaus vor allem Mundartgeschichten, «Am Schattenberg» ist sein erster Roman. Er erzählt die Geschichte der Oberwalliser Familie Zenthelen zwischen 1870 und 2008. Ursprünglich wollte Otto Zumoberhaus nach seiner Pensionierung die Geschichte seiner eigenen Familie aufschreiben. Doch für einen Roman wollte die reale Familiengeschichte nicht reichen, so dass er sich entschied, die Familie der Zenthelens und ihr Heimatdorf Lärchen zu erfinden. Erfunden sind in dieser Familiensaga zwar die Figuren und ihre Schicksale, doch das Leben und die Widrigkeiten, denen sie sich stellen müssen, zeigen, dass Otto Zumoberhaus auf seinen umfangreichen Erfahrungsschatz und ein enormes Wissen um alte Bräuche zurückgreift. So zeichnet er ein beinahe dokumentarisches Bild des Lebens und Leidens, beeinflusst durch die Ereignisse der Weltgeschichte, vor allem aber geprägt durch die teils unwirtliche Natur und den strengen katholischen Glauben.
Von seinem Vater hat Otto Zumoberhaus die Liebe zum Theater geerbt und so spielt in «Am Schattenberg» das Theater auch eine grosse Rolle: Regelmässig werden Theaterstücke aufgeführt, an denen alle Dorfbewohner mitwirken. Durch «Wallisertitsche» Ausdrücke und Dialogteile erreicht Otto Zumoberhaus Unmittelbarkeit und nicht nachahmbare Originalität, die sicherlich dazu beigetragen hat, dass der Erstling «Am Schattenberg» so erfolgreich ist, dass bereits die zweite Auflage gedruckt wurde.
Am Schattenberg. Roman. Rotpunktverlag 2009